Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Staatsanwalts. Ehe Billy T. Unterlagen, Schlüssel und Mobiltelefon zusammengerafft hatte, war Hanne schon verschwunden, gefolgt von Silje. Auf der Straße stellte er fest, daß sie den Dienstwagen genommen hatten.
Es war der letzte Freitag vor Weihnachten, und kein Taxi ließ sich auftreiben. Als er endlich den Versuch aufgab, eins anzuhalten, war er durchgefroren.
»Blöde Kuh«, fauchte er und stapfte mißmutig los.
Der junge Mann, der soeben das Büro von Kommissar Erik Henriksen verließ, als Hanne Wilhelmsen den zweiten Stock des Polizeigebäudes erreichte, kaute Kaugummi, als ginge es um sein Leben. Seine Hose war drei Nummern zu groß. Sein Pullover löste sich am Hals auf, das Bündchen war zur Hälfte losgerissen. Die Baseballmütze saß umgedreht auf bleichen Haarstoppeln. Er sah aus wie ein Bengel in der Pubertät, aber sein Gesicht ließ vermuten, daß er mindestens fünfundzwanzig war. Sein Nasenrücken war scharf gezeichnet. Unter den Augen hatte er bläulich leuchtende Ringe, und um seinen Mund spielte ein gewohnheitsmäßiges, verärgertes Grinsen, das er sich sicher in jahrelanger Mühe erarbeitet hatte. Er bedachte Hanne mit einem unergründlichen Blick, dann schlurfte er zur Treppe, ohne Erik Henriksens ausgestreckte Hand zu schütteln. Der Kommissar verdrehte die Augen und winkte Hanne zu sich hinein.
»Der Nachbar«, erklärte er. »Er wohnt schräg gegenüber von Stahlbergs. Genau gegenüber von Backe, dem übellaunigen Alten, meine ich.«
»Der wohnt da doch nicht allein«, sagte Hanne skeptisch. »Dieser Knabe?«
»Doch. Dot.com-Typ. Lars Gregusson. Hat als Neunzehnjähriger einen Haufen Geld verdient und war vernünftig genug, es in Immobilien zu investieren. Warum so ein Typ in diesem Mausoleum in der Eckersbergs gate wohnen will, kann man sich zwar fragen, aber er will nun einmal.«
»Ist er interessant für uns?«, fragte Hanne und griff ohne zu fragen nach einer Anderthalbliterflasche Cola.
»Kaum. Aber ich hol ihn noch zweimal rein, damit wir sicher sein können.«
Erik Henriksen kratzte sich in seinen karottenroten Haaren und nahm selber die Flasche. Trank ausgiebig daraus und drehte den Verschluß wieder zu.
»Er war nicht zu Hause, behauptet er. Was ja auch stimmen kann. Diese Frau …«
Eriks ungeregeltes Äußeres, seine zerzausten Haare und seine lose hängenden Hemdenzipfel, bildeten einen seltsamen Gegensatz zu seinem sonstigen, fast femininen Ordnungssinn. Die vielen Ordner auf seinem Tisch waren nach Farbe sortiert und wurden von Buchstützen aus gebürstetem Stahl aufrecht gehalten. Auf der einen Seite einer ledernen Schreibunterlage lagen drei Kugelschreiber strikt parallel zueinander in einer länglichen Schale. Sogar die Vorhänge sahen aus wie frischgebügelt, und in der Luft hing ein leichter Duft von Waschmittel. Hanne ertappte sich bei der Überlegung, ob Erik sein Büro wohl eigenhändig säuberte und aufräumte. Es war eigentlich seltsam, daß sie ihn nicht besser kannte. Seit vielen Jahren bildete er eine zumeist übersehene, hinterhertrottende Nachhut. Dienstanwärter, Bereitschaftspolizist, Wachtmeister; er war in den Dienstgraden nach oben gestiegen und hatte dabei seine mutlose Verliebtheit in Hanne Wilhelmsen gepflegt. Diese Verliebtheit hemmte ihn bei der Arbeit und schien ihn zu einem ewigen Junggesellen zu machen. Erst als sie anderthalb Jahre zuvor ziemlich verängstigt ihre Partnerschaft mit Nefis hatte registrieren lassen, hatte er aufgegeben. Er war zum Kommissar befördert worden, dann mit einer Kollegin aus der Bereitschaftsabteilung zusammengezogen und zeigte nun endlich aller Welt, daß er wirklich ein fähiger Ermittler war.
»Frau Kvalheim«, sagte Erik gerade, ohne in seinen Unterlagen nachzusehen. »Aslaug Kvalheim. Eine Nachbarin von gegenüber. Silje hat heute früh mit ihr gesprochen, und sie hat gesagt, als sie um kurz vor sieben zum Bingo ging, seien die Fenster von Vedes dunkel gewesen, das ist das Ehepaar, das den Winter im Süden verbringt. Eine andere Nachbarin hat das bestätigt. Bei Gregussen brannte nachmittags und abends ein einzelnes Licht, wie eine Lampe, die jemand vergessen hat. In Henrik Backes Wohnung war das Wohnzimmerlicht eingeschaltet, während Stahlbergs erleuchtete Fenster auf allerlei Besuch hinwiesen, wie Frau Kvalheim das ausgedrückt hat. Sie meint außerdem, daß im Kamin ein Feuer brannte. Sagt, sie habe das Flackern der Flammen durch den Vorhang sehen können.«
»Die passen ja wirklich auf«, sagte
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