Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
mit einem Cognac auf einer Felskuppe gesessen. Die Kinder hatten am Strand herumgekreischt und der Abend hatte einfach kein Ende genommen. Da und dort hatten sie entschieden, wie alles geregelt werden sollte. Und so war es dann auch gekommen.
Vorsichtig ließ Terje Wetterland seine Finger über ein in Silber gerahmtes Bild fahren, das ihn und seinen Vater zeigte, halbnackt und naß, es war Spätsommer, und beide waren dunkelbraun. Sie saßen am Rand eines Stegs, der Vater hatte den Arm um seine Taille gelegt, und Terje war ein glücklicher Bengel von vier oder fünf Jahren.
Er wischte mit dem Zipfel seines Hemdes Staub vom Bilderrahmen. Dann steckte er das Bild in seine Aktentasche. Es war das einzige aus diesem Zimmer, das er behalten würde. Obwohl sein Vater noch immer den einen oder anderen Mandanten betreut hatte, fehlte Terje die Zeit, sich jetzt um diese Kunden zu kümmern. Er würde sich bei der Mutter nach den Mandanten erkundigen. Viele konnten es nicht mehr sein, da sein Vater sich vor drei Jahren in den Ruhestand zurückgezogen hatte. Nur alte Gewohnheit und einige eigenwillige, bejahrte Mandanten hatten dafür gesorgt, daß er weiterhin zweimal pro Woche seine Kanzlei besucht hatte. Der Sohn würde diese Klienten aus Frankreich anrufen und alles klären. Und wenn etwas eilte, würden sie sich sicher bei der Mutter melden.
Er warf einen oberflächlichen Blick auf einige Unterlagen auf dem Tisch, dann legte er alles in den Safe und schloß ihn ab. Er löschte die Lichter in der Kanzlei seines Vaters und ging nach Hause zu seiner Mutter.
Der Frost hing schwer über den Loipen. Der alte Mann versuchte, seine Skier in einer Schneewehe zu verbergen. Der Schnee war zu hart. Also legte er sie beiseite, neben die Spur. Sie würden schon nicht gestohlen werden. Es war schließlich fast Mitternacht. Die Leute waren um diese Zeit zu Hause. Oder wanderten in dieser Vorweihnachtsnacht zumindest nicht bei klirrender Kälte durch Nordmarka. Der Mann grinste bei dieser Vorstellung. Aber die Skier wären unter einer Tanne vielleicht doch besser aufgehoben, einige Meter neben dem Weg, gut versteckt. Schließlich konnte man nie wissen.
Diese nächtlichen Ausflüge waren ihm zur Gewohnheit geworden. Vor dreißig Jahren war er auf die Kätnerstelle seiner Kindheit zurückgekehrt. Jetzt lebte er vom Wohlwollen des Gutsbesitzers und von der Arbeit, die sich im Wald eben so ergab. Ein Spaziergang vor dem Schlafengehen sorgte für einen guten Schlummer. Im Sommerhalbjahr wanderte er stets zu Fuß durch das Abendlicht, das sich in den vielen Seen von Marka spiegelte. Wenn im Herbst dann Schnee lag, machte er sich auf geteerten Holzskiern auf den Weg. Er kannte seinen Wald und die Wege, die diesen durchzogen, wie seine Westentasche.
Der Frost biß ihm in die Wangen und ließ seine Augen tränen. Das fand er beruhigend. Er ging einige vorsichtige Schritte über einen schmalen Weg, der zu einem Weiher führte, in dem er bei warmem Wetter gern schwamm. Hier und dort brach er durch die Schneekruste. Zweimal hätte er fast das Gleichgewicht verloren. Nach knappen fünfzig Metern stand er auf einer Felskuppe, die sich pittoresk aus dem verschneiten Weiher erhob. Es herrschte völlige Stille. Er hörte nur noch das Plätschern eines unter dem Eis verlaufenden Baches. Vorsichtig, damit er auf dem glatten, kalten Fels nicht ausrutschte, tastete er sich weiter, um dann aus dem eiskalten See zu trinken. Er ging in die Hocke und hielt seine gekrümmte Hand ins Wasser. Die offene Rinne glitzerte im blauen Mondlicht. Es würde seine Zeit brauchen, bis der Weiher ganz gefroren wäre, die Frostkälte hatte erst in den letzten Tagen eingesetzt.
Dann bemerkte er auf dem anderen Ufer eine Bewegung. Er erstarrte, denn er glaubte, es handele sich um ein Tier, dem er keine Angst machen wollte. Seine Hand, die, mit Wasser gefüllt, halb seinen Mund erreicht hatte, zitterte vor Kälte und Anspannung. Sehr langsam richtete er sich zu seiner vollen Höhe auf. Hinter ihm wuchs dichter Nadelwald. Seine Kleidung war dunkel, bestimmt verschmolz er mit seiner Umgebung. Eine leichte Brise wehte ihm entgegen. Wenn er sich nicht bewegte, würde das Tier wohl kaum seine Witterung aufnehmen können.
Aber es war kein Tier. Das sah er jetzt. Jetzt, wo er aufrecht stand, konnte er einen Mann oder jedenfalls einen Menschen erkennen. Dieser Mensch stand nicht am Ufer, sondern bewegte sich auf dem Eis. Er bückte sich. Irgend etwas geschah dort drüben.
Er gab
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