Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
einmal darüber, daß die Entscheidung über ihren Kopf hinweg gefallen war, so wie alle Entschlüsse mit einer gewissen Tragweite von Nefis getroffen wurden, im Alleingang. Nefis buchte eine Reise auf die Seychellen und sagte zwei Tage vorher Bescheid; den Urlaub für Hanne hatte sie längst bewilligt bekommen. Nefis kam mit einem Prospekt über eine riesige Wohnung in einem Neubau in Frogner zurück in die Wohnung in Lille Tøyen. Sie hatte diese Wohnung bereits gekauft. Nefis bestellte den Möbelwagen und sorgte für die amtliche Ummeldung, sie arrangierte das Einweihungsfest und den Termin beim Standesamt, sie kaufte Möbel und richtete die Wohnung ein. Nefis behandelte Hanne so wie eine liebevolle Ehefrau einen sturen, alten Ehemann. Und Hanne gefiel das, auch wenn sie es eigentlich nicht zugeben wollte. Sie protestierte oft und heftig, aber niemals lange.
Nefis fand für jedes Problem irgendwelche Lösungen, mit denen sie leben konnten. Sie nahm Rücksicht auf Hanne, doch nie auf Kosten ihrer selbst und ihrer eigenen Bedürfnisse. Die Wohnung in der Kruses gate wirkte eher wie eine bizarre Wohngemeinschaft als wie eine wirkliche Familie, wie ein Zusammenschluß von Menschen, die scheinbar kaum Gemeinsamkeiten aufwiesen. Auf andere zumindest, die es nicht besser wußten, die sie nicht kannten und deshalb nicht ahnten, daß Nefis und Hanne verheiratet waren und daß Nefis sich ein Kind wünschte. Hanne kannte die Nachbarn nicht, und auf dem Türschild standen drei Namen. Nicht zwei, diese gefährlichen zwei Namen, die die Leute dazu brachten, Rückschlüsse auf die Bewohnerinnen und deren Beziehung zueinander zu ziehen.
Ab und zu hatte Hanne das Gefühl, glücklich zu sein. Nicht oft, aber dann und wann, wenn Marry durch die abenddunkle Wohnung schlurfte, wenn Nefis sie ansah, weil sie sich von Hanne unbeobachtet glaubte, wenn sie im Schlaf eine Hand im Rücken spürte. In solchen Momenten fühlte Hanne sich ganz und gar geborgen. Diese Geborgenheit war ihr Glück, und Glück hatte sie nie wirklich gekannt, ehe sie Nefis begegnet war.
Hanne kam unter der Dusche hervor.
»Aber wer kommt denn nun eigentlich alles?«
»Alle! Karen und Håkon, Håkons Kinder, Billy T., Tone-Marit und …«
»Nicht alle seine Kinder«, sagte Hanne. » Please! Das wäre doch die pure Hölle!«
»Nein. Die sind über die Feiertage bei ihren Mamas. Nur Jenny kommt mit.«
»Und wer noch?«
Hanne trocknete sich die Haare ab und fürchtete das Schlimmste.
»Na ja …«
Nefis streichelte ihr das nackte Kreuz.
»Zwei alte Freundinnen von Marry. Nur …«
»Nein!«
Hanne riß sich das Handtuch vom Kopf und schleuderte es auf den Boden.
»Weißt du nicht mehr, was letztes Jahr passiert ist? Na?«
»Aber dieses Jahr wird alles anders. Sie haben versprochen, nichts mitzubringen und …«
Hanne fiel ihr ein zweites Mal wütend ins Wort und schlug mit der flachen Hand gegen die geflieste Wand.
»Nefis! Hör zu. Auf Drogensüchtige kannst du dich nie verlassen. Sie können so laut und lange schwören, wie sie wollen, aber irgendwas schmuggeln sie immer ein. Außerdem wäre es so ungefähr Mord, sie daran zu hindern. Sie können einen Tag ohne Stoff einfach nicht überleben. Und deshalb kommt das einfach nicht in Frage, Nefis.«
Sie lief mit energischen Schritten ins Schlafzimmer und streifte ihre Kleider vom Vortag über.
»Außerdem haben sie bestimmt Aids. Und das werden Håkon und Karen ganz besonders toll finden, wenn ihre Kinder zusammen mit zerschrammten, ausgehungerten, aids-infizierten Nutten Weihnachtsrippe essen sollen!«
Nefis’ Hand war nur noch wenige Zentimeter von Hannes Wange entfernt, als sie im Schlag innehielt. Hanne faßte sich an ihr unversehrtes Gesicht. Und so standen sie dann da, Nefis mit erhobener Hand, Hanne leicht zurückgelehnt.
»Da hast du etwas Entsetzliches gesagt, Hanna. Etwas ganz Entsetzliches. In unserer Familie wird so etwas nicht gesagt.«
»In unserer Familie wird auch nicht geschlagen!«
»Ich habe nicht geschlagen«, sagte Nefis und machte auf dem Absatz kehrt. »Aber die Götter mögen wissen, daß ich es gern getan hätte.«
Hanne Wilhelmsen war schlechter Laune, als sie elf Minuten zu spät den großen Besprechungsraum betrat, wo der Abteilungschef sechzehn Ermittler, zwei Polizeijuristen und zwei Büroangestellte um den Tisch versammelt hatte. Sie nickte dem stellvertretenden Polizeichef kurz zu, und der antwortete mit einem strahlenden Lächeln. Sie ignorierte Silje
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