Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
krampfhafte Zucken in ihrem Körper nachließ. Vorsichtig lockerte er seinen Griff. Mabelle weinte noch immer, war jetzt aber ruhiger. Schließlich drehte sie sich zu ihm um und ließ sich umarmen. Lange blieben sie so sitzen, und sie schmiegte ihr Gesicht an seinen Hals.
»Das Wichtigste ist jetzt, daß wir dieselbe Geschichte erzählen«, sagte er leise. »Daß wir beide wissen, was wir sagen.«
»Das Wichtigste ist, daß wir gar nichts sagen«, sagte sie in seinen Pullover hinein.
»Wir müssen. Es wirkt nur verdächtig, wenn wir die Aussage verweigern. Aber wir brauchen Zeit, Liebes. Wir müssen uns hinsetzen und uns einig werden.«
»Aber warum kannst du nicht hinfahren und nachsehen? Und Ordnung schaffen?«
»Wenn wir jetzt etwas nicht brauchen können, dann, daß die Polizei die Stelle entdeckt. Früher oder später wird das natürlich passieren. Aber später ist besser. Es ist durchaus möglich, daß sie uns gerade jetzt bespitzeln. Ich werde … ich werde Ordnung schaffen, Mabelle. Das verspreche ich dir.«
Er ließ seine Finger in ihren dichten Haaren spielen. Von ihrem Duft war er noch immer benommen. Aus Angst vor den väterlichen Repressalien waren sie drei Jahre hindurch ein heimliches Liebespaar gewesen. Eine verrückte, spontane Trauung in Las Vegas ohne Zeugen außer einer kugelrunden Frau an einer Hammondorgel hatte einen fünf Jahre langen, ständig eskalierenden Konflikt mit der Familie eingeleitet. Aber Mabelle hatte ihn nie im Stich gelassen. Seines Wissens hatte sie ihn auch nie betrogen. Selbst als sie bisweilen Phasen von distanzierter Gleichgültigkeit hatte, schien sie eine Entscheidung getroffen zu haben, für immer und ewig. Nach einer Weile wurde sie stets wieder sanft und wandte sich ihm wieder zu, fast schon unterwürfig verliebt.
Vor Mabelle hatte es keine gegeben. Die eine oder andere Bettgeschichte, natürlich; er hatte schließlich Geld und lernte früh, daß sich fehlender Charme dadurch ausgleichen ließ. Trotzdem war es nie zu mehr gekommen. Irgendwann mit Mitte Zwanzig hatte er begriffen, warum. Er war feige. Er neigte zu Ausweichmanövern, etwas, das sich körperlich in seinem fliehenden Kinn niederschlug. Auch seine Augen waren nicht schön; sie waren zu groß, standen ein wenig hervor, wie bei jemandem, der zu einem leichten Kropf neigt.
Sein Vater hatte alles noch schlimmer gemacht. Je größer die Abhängigkeit von der Reederei und damit von Leben und Herrschaft des Vaters wurde, um so mehr schwand das bißchen Freiheit und Stärke, die Carl-Christian sich in seiner Jugend während einer kurzen Karriere als Skiläufer zugelegt hatte. Er hatte es auf den dritten Platz in den norwegischen Juniormeisterschaften gebracht, ehe sein Vater solche unnötigen Unternehmungen untersagt hatte. Ski lief man sonntags. In der Woche wurde von acht bis sieben gearbeitet. Carl-Christian hatte das hingenommen. Jahr um Jahr.
Dann war Mabelle gekommen. Eine Schönheit, ein Wildfang. Sie war zielstrebig, wo Carl-Christian auswich, hob den Kopf, wo er sich nach Willen seines Vaters duckte.
»So hätte es nicht kommen dürfen«, flüsterte sie weinend an seinem Hals.
»So nicht, nein«, stimmte er ihr zu.
Mabelle durfte nicht zusammenbrechen. Denn wenn Mabelle nicht durchhielte, wäre alles verloren. Er war nicht stark genug; viel zu lange schon hatte sie ihm Kraft gegeben, nur sie.
»Was ist mit Hermine?« fragte Mabelle verzweifelt. »Auf die Kleine ist doch einfach kein Verlaß. Jedenfalls nicht jetzt, wo es darauf ankommt. Was sollen wir machen?«
Carl-Christian konnte nicht antworten. Hermine war in ihrer Lage tatsächlich ein Pulverfaß.
»Es wird schon gehen«, tröstete er, ohne zu antworten. »Alles wird gut, Mabelle.«
Aber er glaubte selber kein Wort von seiner Rede.
Um zehn Uhr wurde Hanne Wilhelmsen aus dem Schlaf gerissen, weil eine Mandarine ihr Auge traf. Marry wollte über ihrem Bett einen Strumpf voll Leckereien aufhängen.
»Noch ist nicht Heiliger Abend«, sagte Hanne schlaftrunken. »Was machst du denn da?«
»Jetzt hab ich lang genug gewartet. Heute ist der vierte Advent. Jetzt wird geschmückt.«
Hanne streifte ihren Morgenrock über und stapfte ins Wohnzimmer. Die minimalistische Einrichtung ertrank in Glitzerkram und Tand. Unter der Decke hingen kreuz und quer rote und grüne Girlanden, an denen kleine Lichter funkelten.
»Fotozellen«, sagte Marry hingerissen, die Hanne gefolgt war. »Wenn hier jemand durchgeht, dann …«
»O Tannenbaum, o
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