Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
und frischgeduschtem Menschen.
Jens Puntvold wirkte ebenso erschöpft wie der Rest der Truppe, sah aber überraschend gut aus. Hanne ertappte sich bei dem Gedanken, ob seine Haare wohl gefärbt waren. Die blonden Strähnen fielen weich und voll in die Stirn und wiesen nicht einen einzigen grauen Sprenkel auf. Obwohl sein Gesicht von Schlafmangel und langen Arbeitstagen gezeichnet war, wirkten die Augen lebhaft. Er verschränkte die Hände im Nacken und wartete auf ihre Antwort.
»Du bist ungeduldig«, sagte Hanne lächelnd. »Die Morde sind doch erst vor vier Tagen geschehen.«
»Ja«, er lächelte ebenfalls. »Aber du weißt, warum ich frage. Du kennst dich mit solchen Fällen doch aus, Wilhelmsen. Ich wünsche mir nur eine qualifizierte Einschätzung.«
»Monate«, sagte sie vage. »Vielleicht Jahre. Es ist auch möglich, daß wir es gar nicht schaffen. Den Fall zu lösen, meine ich. Es wäre nicht das erste Mal.«
Sie vertiefte sich in den Anblick der Lilien in der bunten Vase.
»Aber auch wenn der Aufklärungsquotient für Mordfälle hierzulande hoch ist, wissen wir beide, daß diese ersten Tage ungeheuer wichtig sind. Falls wirklich eins der überlebenden Familienmitglieder dahintersteckt, dann kann es ewig dauern. Aber am Ende bekommen wir den oder die Schuldige dann doch. Davon bin ich überzeugt. Eine langsame Mühle, weißt du. Die Gerechtigkeit, meine ich.«
Wieder lächelte sie rasch und fügte hinzu:
»Aber wenn es andere waren, ein Fremder, wenn es ein mißlungener Raubmord oder … Na ja, dann kann der Zug längst abgefahren sein.«
»Das darf einfach nicht passieren.«
Plötzlich beugte er sich vor und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte. Sein Blick hielt ihren fest, als er sagte:
»Dieser Fall muß gelöst werden, Wilhelmsen. Einen unaufgeklärten Vierfachmord können wir nicht hinnehmen.«
»Wen meinst du mit ›wir‹«, fragte Hanne, ohne seinem Blick auszuweichen.
»Die Polizei. Die Gesellschaft. Wir alle. Wir haben ohnehin schon Probleme genug. Immer größere Kriminalität und in jeder Hinsicht unzureichende Mittel. Die Polizei muß ihre Muskeln spielen lassen, Hanne. Wir müssen unsere eigene Notwendigkeit unter Beweis stellen. Unsere Effektivität. Diese Truppe gilt schon viel zu lange als lahmarschig und zaghaft. Ich möchte gern …«
Hanne stutzte, als er ihren Vornamen benutzt hatte. Zu ihrer Überraschung fühlte sie sich geschmeichelt.
»Meine Aufgabe ist es natürlich vor allem, die Kriminalabteilung mit der größtmöglichen Effektivität und zur Zufriedenheit der Angestellten zu leiten.«
Das hörte sich an wie eine auswendig gelernte Phrase. Doch dann trat ein offener Zug in sein Gesicht, während er die Arme ausbreitete und neckend den Kopf schräg legte.
»Aber wenn meine kleine … meine kleine Attraktivität für die Medien draußen Verständnis für die Notwendigkeit größerer Mittel und besserer Arbeitsbedingungen für die Polizei schaffen kann, dann finde ich es nur richtig, das auszunutzen. Und was wir jetzt wirklich nicht brauchen können, ist, daß wir uns in diesem Fall verzetteln. Ich hoffe, du verstehst, was ich meine.«
Hanne gab keine Antwort, empfand aber ein vages Unbehagen, sein Blick war jetzt kälter.
»Liest du im Moment die Zeitungen?« fragte er.
»Nein, das nicht. Ich blättere jeden Morgen Aftenposten durch, aber die Boulevardpresse kann ich derzeit einfach nicht ertragen.«
Sie schaute auf die Uhr und hielt diese Geste für diskret.
»Mach weiter so«, sagte er und warf einen Blick auf seine eigene Armbanduhr. »Ich will dich jetzt nicht länger aufhalten. Du nimmst also an, daß das hier Zeit brauchen kann. Sehr viel Zeit. Aber wenn du … wenn du einfach eine erste Vermutung äußern solltest … wer war es, was glaubst du?«
»Ich bin nicht fürs Raten«, sagte Hanne. »Jedenfalls nicht, was meine Fälle angeht.«
»Na los«, beharrte er, fast schon neckend. »Nur unter vier Augen.«
»Kommt nicht in Frage.«
Sie erhob sich.
»Aber wir können ja nur hoffen, daß es einer oder eine von den dreien war. Denn wenn nicht, dann weiß ich wirklich nicht, wie wir diesen Fall lösen sollen. Kann ich jetzt gehen?«
Er nickte.
»Nur eine Frage noch«, sagte er, als sie die Tür fast erreicht hatte. »Bei der Besprechung am Freitag hast du dich enorm auf diesen Sidensvans konzentriert. Ich habe nicht ganz begriffen, warum. Kannst du es mir erklären?«
Hanne blieb stehen, drehte sich halb zu ihm um und zupfte sich zerstreut am
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