Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
liebsten vernichtet. Als er nach Hause kam, ohne zu dem Alten mehr gesagt zu haben als »du wirst von mir hören«, hatte er im Kamin ein Feuer gemacht. Aber Mabelle hatte ihn zurückgehalten. Als er widerwillig von Hermanns neuestem Schachzug erzählt hatte, hatte sie eine Stunde lang bitterlich geweint. Dann hatte sie sich die Tränen abgewischt und war überraschend vernünftig geworden.
»Er hat Abzüge«, erklärte sie. »Natürlich hat er welche. Und außerdem …«
In solchen Momenten bewunderte er sie mehr denn je. Mabelle war die geborene Geschäftsfrau, sie konnte noch unter dem größten Druck vernünftig und kühl bleiben. Wenn sie sich für etwas anderes engagiert hätte als für eine Modezeitschrift, hätte sie großen Erfolg haben können. Selbst in ihrer ohnehin unsicheren und wenig lukrativen Branche hatte sie sich immerhin einen guten Ruf erworben und zählte dazu. Es wäre übertrieben gewesen, Mabelle als Prominente zu bezeichnen, aber alle in der Branche wußten, wer sie war. Sie gehörte dazu und verdiente seit kurzem mit M & M sogar Geld.
»Außerdem sind die bösen Folgen der Bilder, falls sie nun in die falschen Hände fallen, ja doch begrenzt.«
Tapfer hatte sie versucht, die Situation optimistisch zu betrachten.
»Ich würde wohl kaum wieder von irgendwelchen Journalisten dazu aufgefordert werden, mich zu unserer Königsfamilie zu äußern«, sagte sie und schluckte. »Aber ich würde überleben. So schrecklich sind sie nun auch wieder nicht. Es wäre nur unangenehm. Verdammt unangenehm.«
Dann weinte sie wieder.
Er wollte die Bilder verbrennen, aber sie hatte ihn zurückgehalten.
»Wir brauchen sie«, schluchzte sie verzweifelt.
»Wozu?« schrie er wütend. »Ich will sie nie wieder sehen!«
»Hör mal …«
Ihre Stimme zitterte.
»Es kann doch passieren … vielleicht müssen wir irgendwann einmal beweisen, wie dein Vater sich verhalten hat. Diese Bilder belegen auf jeden Fall …«
Sie hatte damals recht gehabt, und jetzt hatte sie wieder recht. Er würde die Bilder doch noch verbrennen, zu Hause.
Sie steckten in einem Briefumschlag. Er schob ihn unter seine Jacke, in seinen Hosenbund. Mit unsicherer Hand versuchte er, die Dose im untersten Safefach zu öffnen. Seine Finger wollten ihm nicht gehorchen. Die Nägel kratzten über das grüne Metall. Endlich ging der Deckel auf.
Der Schock sorgte dafür, daß sein Magen sich zusammenkrampfte. Er preßte die Lippen aufeinander und versuchte, die sauer schmeckende Masse, die jetzt nach oben stieg, zurückzudrängen.
Die Dose enthielt nur eine einzige Waffe.
Die Korth Combat Magnum, die Carl-Christian verbotenerweise aufbewahrte, lag an Ort und Stelle. Sie war ungeheuer kostbar, einer der raffiniertesten Revolver der Welt. Er hatte sie in einem Anfall kindlicher Begeisterung gekauft, nachdem er sechs Jahre zuvor in einen Schützenverein eingetreten war. Aber Carl-Christian hatte das Schießen bald satt gehabt. Bei genauerem Hinsehen hatte die Schützenszene ihm nicht gefallen. Außerdem tat seine Schulter ihm weh, wenn er grobkalibrige Waffen benutzte. Den Revolver hatte er kaum gebraucht.
Er lag noch immer da, wo er hingehörte.
Die andere Waffe war verschwunden.
Als Carl-Christian den Safe endlich schließen konnte, hatte er total vergessen, die Munition im obersten Fach zu kontrollieren. Er hatte einfach keinen Platz mehr für weitere Probleme. Er griff sich an den Bauch, wo sich der Umschlag mit den Bildern wie ein Schild anfühlte.
Nur Mabelle wußte von seinem Safe und kannte den Code für das Schloß.
Und Hermine natürlich.
»Was glaubst du, wie lange das dauern kann?«
Hanne Wilhelmsen sah sich um, ohne zu antworten. Das Büro von Kriminalchef Jens Puntvold war behaglich, ohne gemütlich zu wirken, und eigentlich ziemlich elegant, ohne daß Hanne hätte sagen können, worin es sich von den anderen Büros unterschied. Obwohl das Zimmer viel größer war als die Räumlichkeiten, mit denen die meisten anderen sich zufriedengeben mußten, waren die Wände in ebenso langweiligem Grau gehalten, die Böden ebenso abgenutzt und die Vorhänge ebenso schmutzig. Vielleicht lag es an den Blumen; frische Lilien auf dem Schreibtisch, in einer bunten Vase, frühe Tulpen in einem farbenfrohen Strauß mitten auf dem Besprechungstisch. Die Bilder hatte sicher er mitgebracht. Nach Westen hin hingen zwei riesige Ölgemälde, beide abstrakt und blau.
Außerdem war da noch etwas mit der Luft; ein frischer Duft von Rasierwasser
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