Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Kontrolle fällt. Sie verwalten ja schließlich die Meinungsfreiheit, nicht vergessen. Und wenn sie sich mal wieder blamiert haben, dann starten sie in den journalistischen Fachzeitschriften eine kleine Nabelschaudebatte und nennen es Selbstkritik. Aber danach geht’s weiter wie bisher.«
»Hallo«, sagte Annmari.
»Hallo. Habt ihr hier drinnen ein Feuer gemacht?«
Hanne schnupperte und runzelte die Stirn.
»Fast. Nur ein kleines Mißgeschick.«
»Sagt das Testament euch irgendwas?«
Hanne schaute interessiert zu der Plastikmappe hinüber, die ganz oben auf dem ihr nächsten Stapel lag, und fügte hinzu:
»Ich habe gehört, der alte Hermann habe da selbst die Feder geführt. Stimmt das?«
»Sieht so aus«, bestätigte Annmari. »Komisch eigentlich. Er hatte doch jederzeit eine ganze Herde Anwälte zur Hand, in der Firma und in Verbindung mit dem Familienstreit. Aber das Testament schreibt er selbst. Trotzdem, alle formellen Bedingungen sind erfüllt, wenn ich das richtig beurteile. Die Zeugen sind mir total unbekannt, aber wenn sie wirklich zugegen waren, als Hermann und Turid das hier unterschrieben haben, dann ist alles in Ordnung. Ärger wird es trotzdem geben.«
»Ärger? Sind solche Testamente denn nicht eine reine Formsache?«
»Nicht nur. Es werden darin seltsame Bedingungen gestellt. Und bei den hohen Streitwerten und diesem umstrittenen Inhalt wird es vermutlich angefochten werden. Gut, daß man arm ist, meine Güte.«
Wieder hatte Silje dieses seltsame Gefühl.
Eigentlich mochte sie Annmari Skar. Die Polizeijuristin war zuverlässig und redlich und auch lange genug bei der Polizei, um nicht auf der Tatsache herumzureiten, daß sie Juristin war, keine normale Beamtin. Annmari war außerdem eine der wenigen, die sich nicht so seltsam auf Hanne Wilhelmsen fixierten. Wenn sie hörte, wie die jungen Kollegen die Hauptkommissarin voller Bewunderung in den Himmel priesen, zuckte sie gleichgültig mit den Schultern. Sie weigerte sich, auf die Gehässigkeiten der Dienstälteren zu hören, machte davon aber auch kein Aufhebens. Sie stand einfach auf und ging. Annmari Skar war tüchtig, ohne arrogant zu wirken, mit ihr konnte man reden, sie war offen und gehörte inzwischen zu den erfahrensten Juristinnen und Juristen im Haus. Sie war zweite Vorsitzende in der Gewerkschaft, ging notwendigen Konflikten nie aus dem Weg und wurde überall in dem großen Haus mit der halbrunden Fassade im Grønlandsleiret 44 respektiert.
Aber sie schien an einer Art Geldkomplex zu leiden.
In der Regel waren ihre Kommentare über Siljes Reichtum sarkastisch, fast immer waren sie verletzend. Nachdem Hanne Wilhelmsen in den vornehmen Stadtteil Frogner gezogen war, wurde auch sie zur Zielscheibe dieser ewigen Spitzen, ohne sich das jedoch weiter anmerken zu lassen. Allerdings ließ Hanne Wilhelmsen sich kaum je überhaupt etwas anmerken.
Silje dagegen hatte die Nase voll.
»Kannst du damit endlich mal aufhören?«
Sie spürte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg.
»Was denn?«
Annmari sah aus, als sei sie gerade aus sämtlichen Wolken gefallen.
»Was in aller Welt meinst du denn jetzt?«
» Gut, daß man arm ist, meine Güte.«
Silje äffte Annmaris Stimme nach und rief dann:
»Ich hab deine ewigen Pöbeleien über mein Geld ja so satt. Zum ersten ist das ganz ehrlich verdientes Geld. Außerdem brauche ich nicht besonders viel davon. Ich wohne gut, na und, aber ich kann verdammt noch mal nichts dafür, daß mein Vater reich und freigebig ist! Er ist ein toller, fürsorglicher und liebevoller Vater, für den ich mich wirklich nicht zu schämen brauche. Jedenfalls nicht, um dir einen Gefallen zu tun!«
Sie schlug sich auf den Oberschenkel. Zu hart, es tat richtig weh.
»Au«, entfuhr es ihr spontan.
Hanne schmunzelte und machte große Augen.
»Du hast ja mehr Temperament, als ich gedacht hatte.«
»Und du«, fauchte Silje an sie gewandt, »du kannst auch besser mal die Klappe halten. Du läufst rum, als wärst du bettelarm. Aber ich hab die Steuerveranlagung für deine Professorin gesehen. Du bist ein umgekehrter Snob, Hanne. Sieh dich doch nur an!«
Zwei Blicke ruhten auf Hanne. Sie schaute an sich hinunter. Das Sweatshirt mit dem Aufdruck NYU auf der Brust war verwaschen. Ein Chlorfleck leuchtete weiß auf der ansonsten hellblauen linken Schulterpartie. Die Jeans waren zu eng und an den Knien verblichen und abgescheuert.
»Na gut«, sagte sie verdutzt. »Aber sieh dir das hier an!«
Sie hob den einen Fuß. Ihre
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