Die Wahrheit dahinter: Kriminalroman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
kitzelte ihn durch seine Socken.
»Schön hier«, sagte er.
»Aber du siehst grausig aus, Billy T. Mit dem Training aufgehört, oder was?«
Ohne auf Antwort zu warten, ging Ronny in die Küche. Billy T. hörte, daß etwas in Gläser gegossen wurde. Er schloß die Augen. Die Sofakissen waren weich. Jenny kränkelte wie so oft und ließ sie die halbe Nacht nicht schlafen. Er hatte noch keine Geschenke gekauft. Sein Gehaltskonto war so gut wie leer. Seine Mutter hatte ihn zweimal hintereinander angerufen und beide Male genau dasselbe gesagt, nämlich daß sie bei Billy T.s Schwester Weihnachten feiern würden. Die Anzeichen einer beginnenden Senilität waren jetzt nicht mehr zu übersehen, aber ihm fehlte die Kraft, sich auch noch damit zu befassen. Seine Schwester war sauer, weil er diesem Thema stets auswich. Tone-Marit, Jennys Mutter, war sauer, weil sie kein Geld hatten. Alle waren stocksauer. Hanne war sauer und obendrein auch noch komisch. Billy T. war unbeschreiblich müde. Seine Arme kamen ihm so schwer vor, daß er es nicht einmal fertigbrachte, auf die Uhr zu schauen. Er hatte wenig Zeit. Er hatte immer zu wenig Zeit, und die vielen Frauen standen um ihn herum und schimpften. Hanne hatte blaue Engelsflügel und flog in einer riesigen Kathedrale zur Decke hoch. Das Licht der Glaskuppel war überwältigend, und Hanne verwandelte sich in einen Vogel mit Menschenkopf, der seine Mutter in einer rosa Stoffplane trug. Plötzlich ließ sie los. Billy T. wollte loslaufen, um sie aufzufangen, steckte aber fest in einem Feld voller fleischfressender Pflanzen, die seine Beine umschlangen. Sie saugten sich an ihm fest und drohten, ihn in ein Moor voller Kindsleichen zu ziehen.
»Hallo!«
Billy T. fuhr zusammen. Er setzte sich eilig aufrecht und riß die Ananas mit, als seine Füße auf den Boden knallten.
»Du bist ja eingeschlafen, verdammt. Bist du krank, Billy T.?«
»Nur müde …«
»Hier, trink das.«
Ronny stellte ein hohes Glas mit einer rötlichen Flüssigkeit vor ihn auf den Glastisch. Billy T. sah es an, halb verwirrt, halb skeptisch, und machte keine Anstalten zu trinken.
»Keine Panik, ist kein Alk. Und auch sonst kein Scheiß. Nur Obst. Tut dir gut, mein Lieber. Trink.«
Langsam hob Billy T. das Glas an den Mund. Er trank alles auf einmal und preßte sich zum Dank ein Lächeln ab.
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich bin im Moment so verdammt kaputt. Bei der Arbeit viel zu tun und dann die Kinder und …«
»Und morgen ist Heiligabend, und du hast kein Geld«, Ronny grinste. »Alles klar. Hast du mit diesem Riesenmord auf Frogner zu tun?«
»Unter anderem.«
»Das ist doch sicher ganz einfach.«
»Das ist alles andere als einfach.«
Ronny verschränkte die Hände im Nacken.
»In der Szene schwirren die Gerüchte nur so.«
»Weiß ich.«
»Bist du deshalb gekommen?«
»Deshalb auch.«
»Kann dir aber nicht weiterhelfen. Sind ja alles nur Gerüchte. Abgesehen von … aber ich nehme an, daß ihr das schon wißt.«
»Was denn?«
Billy T. kam sich jetzt wirklich um einiges wacher vor. Seine Haut prickelte ein wenig. Er hob die rechte Hand und musterte sie. Die Adern auf dem Handrücken traten hervor, er konnte geradezu sehen, wie das Blut schneller floß. Sein Kopf kam ihm leicht vor.
»War da irgendwas in dem Glas?« fragte er, ohne den Blick zu heben.
»Saft, Billy T. Fruchtsaft. Und Gemüsesaft. Bei dir steigt jetzt einfach der Blutzucker.«
»Was, glaubst du, wissen wir schon?«, fragte Billy T. noch einmal.
»Das über diese Hermine.«
»Ja, Ronny. Wir wissen, daß es eine Hermine Stahlberg gibt.«
»Die ist nicht so ganz echt. Aber das wißt ihr sicher.«
»Mmm.«
Der Fall Stahlberg hatte sich zu einem Monstrum entwickelt. Allein mit den Ermittlungen waren inzwischen dreiundzwanzig Leute beschäftigt. Dazu kamen die technischen Experten, von Waffenkundigen über Gerichtsmediziner bis hin zu Tatortspezialisten. Die Unterlagen über den Fall füllten bereits mehrere Regalmeter. Über achtzig Personen waren vernommen worden, die Wohnung in der Eckersbergs gate war auf den Kopf gestellt worden. Sie hatten versucht, die Geschichte der Opfer zu ganzheitlichen Bildern zusammenzusetzen, in denen aber immer noch überall Löcher klafften. Der Fall Stahlberg war ein wüstes Konglomerat aus Informationen und Profilen, aus Theorien und Tatsachen. Billy T. konnte mit allem, was ständig dazukam, nicht mehr Schritt halten, mit Unterlagen und Vernehmungen, mit anonymen Tips und mehr oder
Weitere Kostenlose Bücher