Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
Kaminsims hätte Mina es nicht gewusst.
Nachdem sie sich wieder ein wenig gefangen hatte, wunderte sie sich über ihre Fügsamkeit. Warten hatte noch nie sonderlich gut funktioniert. Der heutige Abend hatte es wieder einmal effektiv bewiesen. Wenn Bonham sie so dringend wollte, würde er sowieso kommen, um sie zu holen.
Und wenn Phin sie brauchte, dachte sie bei sich, würde er niemals zu ihr kommen. Die Schatten auf seinem Gesicht vorhin hatten nicht allein von Wut hergerührt.
Mina durchquerte den vorgelagerten Raum und trat hinaus in die Diele, wo zwei neue Wächter postiert waren, die ihr bekannt vorkamen, vermutlich aus der kurzen Zeit bei Ridland. »Bringen Sie mich zu Ashmore«, sagte sie.
»Bedaure, aber er möchte nicht gestört werden«, antwortete ein blonder Jüngling mit eingefallenen Wangen, in dessen Augen kalter Humor mitschwang. Darin glich er Ridland.
Mina erinnerte sich daran, dass sie noch immer im Besitz der entwendeten Pistole war. Kaum hielt sie die Waffe in die Höhe, wich der Wächter zurück. »Bringen Sie mich zu ihm«, wiederholte sie.
Auf der Schwelle zu Phins Arbeitszimmer blieb Mina stehen. Phin saß in einem breiten Sessel und starrte in die Glut des fast niedergebrannten Feuers im Kamin. Die kreuz und quer herumstehenden Stühle, die offen stehenden Karaffen und leeren Gläser legten Zeugnis davon ab, dass hier vor Kurzem ein Treffen stattgefunden hatte. Doch es lag weniger an der für ihn so untypischen Unordnung oder an dem finsteren Ausdruck auf seinem Gesicht, was sie erstarren ließ.
Es war die Pfeife mit dem langen Mundstück, die vor ihm lag.
Eigentlich durfte der Anblick sie nicht überraschen. In der Nacht, in der er sie in diesem Zimmer ertappt hatte, war die Luft von dem unverwechselbaren Duft geschwängert gewesen, und Mina hatte lange genug in Hongkong gelebt, um zu wissen, von welcher Substanz er herrührte. Doch dass dieser Geruch so offensichtlich nicht hierher gepasst hatte – oder zu diesem Mann – hatte sie blind für die Wahrheit gemacht.
»Opium«, sagte sie. »Wie interessant.«
Ohne den Blick von den Flammen zu nehmen, antwortete er: »Nur für eine Frau, die unter Wölfen groß geworden ist.«
Die Luft roch nicht nach der Droge. Er hatte noch keinen Zug getan. »Da will ich nicht widersprechen.« Mina trat über die Schwelle und zog die Tür ins Schloss. »Ich bin nicht im Wald aufgewachsen, um jetzt Angst vor einer Eule zu haben.«
Phin wandte ihr das Gesicht zu. Seine Wimpern waren nicht lang genug, um die starre Ausdruckslosigkeit seines Blickes zu kaschieren. »Dein Wald war wohl nicht dunkel genug«, sagte er. »Du hast keine Ahnung, wer ich in Wirklichkeit bin.«
Mina zögerte und strich nervös mit den Fingern über die Pistole in ihrer Hand. Ihre nächsten Worte wählte sie mit Bedacht. »Ich habe dich vorhin beobachtet. Es war zwar dunkel, aber nicht dunkel genug, als dass ich dich nicht sehen konnte, Phin.«
Kurz und hart lachte er auf. »Stimmt. Und, warst du beeindruckt?«
Mina betrachtete Phin, ließ den Blick über seine lässige Körperhaltung und die lang ausgestreckten Beine wandern. »Ja«, sagte sie. Es überraschte sie nur mäßig, dass sie es genauso meinte. »Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich mir ebendiese Fähigkeit aneignen würde, wenn ich die Chance dazu hätte. Es ist nicht besonders tugendhaft, ein Opfer zu werden.«
Einen Moment lang hatte es den Anschein, als wollte er nicht auf diese Bemerkung eingehen. Doch dann legte sich ein verbittertes Lächeln auf seine Lippen. »Wie großzügig von dir, so etwas zu sagen, Mina. Fast spaßig. Die Fähigkeit zu töten hat mich noch nie mit Freude erfüllt. Ich habe mir stets eingeredet, dass ich keine andere Wahl habe. Heute Nacht hingegen. … vielleicht brächte es deine Bewunderung zum Einsturz, wenn du wüsstest, dass ich es fast genossen habe.«
»Ich würde es nicht glauben«, antwortete sie mit sanfter Stimme.
Phin zuckte die Achseln. »Glaub, was du willst. Als ich den Hals des Bastards zu fassen bekommen habe, konnte ich nicht mehr klar denken. Es war …« Er schüttelte den Kopf. Seine Hände lagen geöffnet in seinem Schoß. Er spreizte die Finger, um sich seine Handteller zu betrachten, ehe er sie wieder schloss. »Ich würde es wieder tun«, sagte er leise.
Mina schnaubte. »Das hoffe ich doch. Du hast mir das Leben gerettet. Ich hoffe , dass dieses Wissen dir ein wenig Befriedigung verschafft.«
Mit undurchdringlicher Mine sah er sie an. »Stimmt.
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