Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)

Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)

Titel: Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
Vom Netzwerk:
Korridor wahrgenommen hatte, beschwor der Geruch in diesem Zimmer Sicherheit, Friede und Wissen herauf; alles Dinge, die er einst als selbstverständlich betrachtet hatte. Und dennoch war das alles nichts als eine schöne Lüge.
    »Wir haben bislang noch nichts davon veräußert. Mutter hat es einfach nicht übers Herz gebracht.«
    Laura war leise hinter ihn getreten. Womöglich hatte sie ihn erschrecken wollen, doch Phin hatte ihr Kommen bemerkt – durch den leichten Luftzug, der entstanden war, als sie die Tür weiter geöffnet hatte.
    Nein. So darfst du nicht denken. Nicht hier .
    »Er hätte gewollt, dass du einen Teil seiner Sachen erhältst«, sagte sie. »Den Globus vielleicht? Such dir aus, was immer du möchtest. Er hat oft von dir gesprochen, Phin. Er war davon überzeugt, dass du unserem Land einen großartigen Dienst leistest.« Der Teppich schluckte ihre Schritte. Ihre blassen, kräftigen Finger brachten den Globus zum Drehen. Phin wurde schwindelig. »Wir wussten natürlich, dass du uns nicht darüber schreiben konntest. Ich nehme an, dass Verschwiegenheit zum täglichen Geschäft in diesen Kreisen gehört. Doch jedes Mal, wenn Standfords eine neue Landkarte des Subkontinents herausgebracht hat, verbrachte Vater Stunden damit, sie zu studieren.« Lauras Lachen klang rau. »Er hat die verschiedenen Ausgaben verglichen und die Unterschiede herausgearbeitet, die er meist deinem Verdienst zuschrieb. Er war über alle Maßen stolz auf dich.«
    Lauras Worte waren wie Gift. Im Zimmer war es plötzlich stickig und heiß, und Phin verspürte den drängenden Wunsch, das Fenster aufzureißen, um eine kühle Brise hereinzulassen.
    Sheldrake hatte gar nicht mal so unrecht gehabt, denn zumindest hin und wieder hatte Phin eine neue Landkarte beigesteuert. Leider war es ihm jedoch nicht vergönnt gewesen, sich allzu lange mit der Vermessung Indiens zu beschäftigen. Zwei Jahre waren ihm zugestanden worden, zwei Jahre, um im Dienste der Royal Engineers die Berge zu erkunden. Doch dann hatte Ridland andere Aufgaben für ihn gehabt.
    Der Globus drehte sich noch immer. Phin streckte die Hand aus und hielt mit dem Zeigefinger die Welt an. Sheldrake hatte ihm beigebracht, sie sich genau anzusehen. Er war überzeugt gewesen, dass die richtigen Antworten nur von denen gefunden werden konnten, die ganz genau hinschauten, dass Länder festgefügte Umrisse hatten und dass Grenzen mehr waren als mit Tinte gezeichnete Linien, die sich so leicht durch Blut wegwaschen ließen. Sheldrake hatte ihn gelehrt, dass Fehler aufgrund eines Irrtums geschehen konnten, aber dass es verwerflich war, Fakten bewusst zu verfälschen und zu verdrehen.
    Laura hatte recht. Ihr Vater war gestorben, ohne aufzuwachen. Denn wäre er aufgewacht, hätte er erkannt, dass Masse nichts als eine träge, stumme Materie war, unfähig der Schwäche und der Stärke. Sheldrakes Freund aus Kindertagen hätte ihn das lehren können. Denn Ridland hatte gewusst, dass die wahre Herausforderung darin bestand, die Topografie der Seele darzustellen. Mit nur einem Blick hatte Ridland Phins Charakter erkannt und die Bruchlinie gefunden, die seine Natur von seinen idealistischen Vorstellungen spaltete. Sie haben Talent, hatte er gesagt. Mit diesen drei Worten hatte sich die Bruchlinie geweitet, sodass Phin jetzt, ein Jahrzehnt später, als er in Sheldrakes Bibliothek dem Gespenst seiner eigenen Vergangenheit begegnete, kein Gefühl des Wiedererkennens empfand. Er schaute über den klaffenden Abgrund und spürte nichts als einen kalten Lufthauch, der über sein Nackenhaar strich.
    Sein Herz begann zu rasen. Ein Schweißtropfen lief ihm über die Schläfe und fiel auf den Globus.
    Es passierte schon wieder.
    Was würde Laura denken? Sie musste gesehen haben, dass ihm die Röte ins Gesicht gestiegen war, auch wenn sie sich hütete, eine Bemerkung darüber zu machen. Konzentriere dich auf den Globus. Es wird vorübergehen.
    »Wollen wir Tee trinken?«
    Phins in Mitleidenschaft gezogene Ohren missdeuteten ihren Tonfall und stuften ihn als höhnisch, fast aggressiv ein. Na, nicht einmal in der Lage, Tee zu trinken ?
    Er musste hier heraus, bevor Schlimmeres geschah. In einer Minute würde ihn einer seiner Anfälle voll im Griff haben. Seit seiner Rückkehr nach England kamen die Panikattacken ohne Vorwarnung. Der Globus fühlte sich plötzlich wie Gummi an. Sein Herz pochte zum Zerspringen. Er würde sich erbrechen und dann sterben. Nein, das wirst du nicht. So fühlt es sich jedes

Weitere Kostenlose Bücher