Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
tatsächlich nicht erkannt. Er war größer und schlanker, als sie ihn in Erinnerung hatte, und wirkte irgendwie schmaler. Und zudem nicht so elegant. Keine Spur mehr von perfekt frisiertem Haar und glatt rasierten Wangen. Stattdessen trug er sein Haar so lang, dass es ihm bis an das von Bartstoppeln dunkle Kinn reichte. Die Haartracht betonte seinen Teint und seine fast schwarzen Augen, und man konnte vermuten, er wollte wie ein Krimineller aussehen. Die Rolle als Bankier würde er mit diesem Aussehen ganz gewiss nicht mehr spielen können.
Sein verwegenes Aussehen rührte auch von der Weise her, wie er mit der Waffe umging. Während er Mina nicht aus den Augen ließ, hielt er die Pistole achtlos wie ein Spielzeug in der Hand. Oder so, als wollte er ihr klarmachen, wer von ihnen bewaffnet war und wer nicht.
Was zum Teufel hatte Ridland ihm über sie erzählt? Es hatte den Anschein, als müsste sie ihn in mehrerlei Hinsicht entwaffnen, wenn sie eine möglichst angenehme Zeit miteinander verbringen wollten.
Mina hob die Hand, merkte aber zu spät, dass sie sich die Haare zurückgebunden hatte, sodass keine Strähne heraushing, die sie hätte zurückstreichen können. »Vielleicht …« Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Oh, sind Sie das … Mr Monroe ?«
»Könnte sein«, antwortete er, und sein leicht sarkastischer Ton traf sie wie ein Schlag. Wie töricht sie doch gewesen war, Dankbarkeit von ihm zu erwarten. Geschäftsmann oder Spion, das spielte keine Rolle. Er hatte wunderbar in den Freundeskreis ihres Stiefvaters gepasst.
Es fiel ihr nicht schwer, ihre nächsten Worte mit zittriger Stimme zu sagen – sie mochte es ganz und gar nicht, auf dreckige Böden geschubst zu werden. »Mr Monroe. Gott sei Dank. Sie werden mir bestimmt helfen!« Und dann, begleitet von einem dramatischen Schluchzen, warf sie sich ihm in die Arme.
Dank seiner gut geschulten Reflexe fing Phin sie auf. Und zum Glück war der Abzugshahn der Pistole voll funktionstüchtig, ansonsten hätte es wohl ein Blutbad gegeben.
Als Mina ihren zierlichen Körper an ihn schmiegte, befiel Phin ein eigenartiges Gefühl, das um einiges vielschichtiger war als ein Déjà-vu. Für den Bruchteil einer Sekunde befürchtete er, angegriffen zu werden, bis er schließlich merkte, dass dieses Gefühl einzig in seinem Inneren entstanden war. Als hätte sich in ihm eine Tür geöffnet, die er versperrt zu halten versucht hatte. Es gab Dinge, die der Körper nicht vergaß – ihre Brüste, die sich auf Höhe seines Magens gegen ihn pressten, die Art und Weise, wie er eine Waffe in der Hand ausbalancierte. Mina Masters zu berühren war, als streifte er eine dunkle Seite seines Selbst, den Ort, an den sich seine Reue zum Sterben zurückgezogen hatte, weil sie die chronische Missachtung nicht mehr ertrug. Damit hatte ich doch abgeschlossen , dachte er. Beim Allmächtigen, das musste doch alles längst vorbei sein.
Nur zu gerne hätte er die Arme gehoben, um das Kribbeln im Nacken wegzureiben, doch sie hatte die Arme um ihn geschlungen, und er erwiderte die Geste, ohne dass sein Verstand zuvor um Erlaubnis gebeten wurde. Nach all der Zeit wirkte sie noch immer wie Gift auf ihn. »Ich bin unendlich froh, dass Sie gekommen sind«, wisperte sie.
Ihr Kopf ruhte genau unter seinem Kinn. Wie die ersten Töne eines in Vergessenheit geratenen Musikstückes ließ der feine Duft ihres Haars eine ganze Sinfonie in seinem Kopf aufklingen: die grimmige Verärgerung, die er für sie empfand, jener Kuss, Tanzen Sie mit mir, Mr Monroe . Er hatte sie als Hindernis betrachtet, als eine Versuchung, die sämtliche seiner geerbten Schwächen enthüllte, eine nichtsnutzige Last, die alles daransetzte, sich in seinem Gewissen festzubeißen. Damals hatte es für ihn keine andere Möglichkeit gegeben, als sie in genau diesem Licht zu sehen. Zumindest nicht bis zu dem Moment seines Sturzes aus dem Fenster. Ein wahrer Schreckmoment: Während er von einem Kugelhagel begleitet über den Rasen davongerannt war, hatte er sich gefragt – nur ein einziges Mal und ohne das schmerzhafte Gefühl des Verlustes zu verstehen –, was er womöglich zurückließ. Danach hatte er sich nie wieder gestattet, an sie zu denken.
Er löste ihre Arme von seinem Nacken und seufzte kaum hörbar. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte er sich menschlich, geerdet und mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Er kannte sich jedoch gut genug, um dieser Empfindung nicht über den Weg zu trauen.
Eine
Weitere Kostenlose Bücher