Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
War es ihr eigentlich nicht in den Sinn gekommen, dass sie ihren Diener in etwas Brandgefährliches hineinzog? Oder erwartete sie, dass Männer sich aus freien Stücken in Gefahr brachten, nur um die Erlaubnis zu erhalten, ihr zu Diensten zu sein?
Die Wut, die plötzlich in ihm aufwallte, erschreckte ihn. Er tat einen tiefen Atemzug. Wie auch immer ihre Motive aussehen mochten, sie hatte ihn nicht zum Helfen gezwungen. Er war freiwillig gekommen. Er würde die Sache zu Ende bringen und sie so schnell wie möglich aus diesem Loch herausbringen.
Plötzlich ertönte hinter ihm ein Geräusch. Blitzschnell, ehe sein Verstand die Chance hatte zu registrieren, was geschah, wirbelte Phin herum und zielte mit der Pistole auf Cronins rechtes Auge. »Zurück mit Ihnen«, sagte er.
Cronin blieb regungslos stehen. Sein Arm zitterte unter dem Gewicht des Schemels, den er in die Höhe hielt.
»Nicht schießen«, schrie Miss Masters. »Er will mich doch nur beschützen.«
Selbst Cronin machte angesichts dieser abwegigen Behauptung ein erstauntes Gesicht. Gehorsam wich er zurück und ließ seine Waffe fallen. Als der Hocker auf dem Boden aufschlug, wirbelten Stroh und Staub auf und kitzelten Phin kräftig in der Nase. Mit der Pistole noch immer auf Cronin zielend, griff er nach hinten, bekam Mina am Arm zu packen und zerrte sie in Richtung Treppe.
»Wenn Sie Mr Tarbury sehen, dann sagen Sie ihm bitte, was passiert ist«, rief Mina ihm noch zu.
Ihr Tonfall schien Phin unangemessen verzweifelt zu sein für eine Frau, die ihn freiwillig angeworben hatte. Doch Cronin, der den eingerosteten Kavalier in sich neu entdeckt zu haben schien, richtete sich auf und machte Anstalten, ihr zu Hilfe zu eilen.
Statt auf dessen Auge zielte Phin jetzt direkt zwischen Cronins Beine und entsicherte den Revolver.
Aha, das Ding war tatsächlich geladen. Der Knall war ohrenbetäubend. Cronin tauchte im Schatten ab. Miss Masters gab keinen Laut von sich. Als Phin zu ihr schaute, war sie kreidebleich, stand aber fest auf beiden Beinen. Es schien für sie nichts Ungewöhnliches zu sein, wenn eine Waffe losging. Seine Stimmung verdüsterte sich zunehmend. Mit dem Ellbogen stieß er die Tür auf und zog Mina mit sich hinaus auf die Straße.
6
Ridland musste Monroe den Brief zum Lesen gegeben haben, denn er protestierte nicht, als sie ihm sagte, dass sie noch einmal in ihr Zimmer in der Pension müsste. Mina konnte nur vermuten, dass er sich fragte, was sie dort holen wollte. Geheime Dokumente vielleicht? Ein Säckchen Schießpulver? Er wirkte jedenfalls nicht übermäßig besorgt, als er ihr hinauf zu ihrem Zimmer folgte. Er blieb an der Tür stehen und beobachtete sie, als sie sich zum Bett hinunterbeugte und darunter nach etwas tastete. Die ganze Zeit über hielt Monroe die Waffe in der Hand.
Falls er damit rechnete, sie würde eine Waffe unter dem Bett hervorholen, so musste sie ihn enttäuschen. Sie wollte lediglich das Kleid holen, das sie bei ihrer Flucht aus Ridlands Haus getragen hatte. Das und die Katze. Tarbury hatte Gefallen an dem Tier gefunden, das die Gefühle zu erwidern schien. Da der Kater Mina jedoch nicht annährend so gern mochte, brauchte sie geschlagene zehn Minuten, um ihn unter dem Bett hervorzulocken.
Als sie sich mit dem fauchenden Tier im Arm endlich wieder aufrichtete, nickte Monroe gelassen – als hätte er erwartet, dass sie einen Kater mitnehmen wollte. Mina merkte, dass er wieder in seine Rolle geschlüpft war. Eine Rolle, die er im Übrigen recht überzeugend spielte. Nur zu gern hätte sie gewusst, weshalb er sich so gab. Mina zog mit der freien Hand das Kleid vom Bügel und warf es Monroe zu, der es auffing und sich lässig über den Arm legte.
»Kommen Sie«, sagte er und trat einen Schritt zur Seite, damit Mina die Treppe hinuntergehen konnte.
Als sie an ihm vorbeiging, fiel ihr erneut auf, dass er um einiges größer war, als sie es in Erinnerung hatte. Während ihre Schritte den schief getretenen Treppenstufen knarzende Geräusche entlockten, bewegte Monroe sich so lautlos wie ein Dieb. Den Kater eng an sich gedrückt wünschte Mina sich zum hundertsten Mal, ihre Mutter und sie wären niemals nach England gekommen.
Am Treppenfuß angekommen sah Mina, dass die Vermieterin ihnen bereits die Haustür offen hielt. Sie schien ausgesprochen guter Laune zu sein, was vermutlich daher rührte, dass sie von Monroe ein hübsches Sümmchen für das Zimmer und ihr Schweigen bekommen hatte. Als Mina an ihr vorbeiging,
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