Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
schnell wieder gefangen. »Lieber langsam ersticken, als schnell enthauptet zu werden«, sagte er, wenngleich er sich nicht sicher war, ob er dem wirklich zustimmte. In Sanburnes Welt würde es aber stimmig sein.
»Mitnichten. Ein schnelles und glattes Ende ist einem langsamen und qualvollen stets vorzuziehen. Denk nur an das Spektakel für die Hinterbliebenen, das damit verbunden ist.« Sanburnes Lächeln wirkte einstudiert. »Selbst für jene, die nicht zugucken möchten.«
Phin unterdrückte einen Anflug von Ungeduld. Der Kreuzzug, den Sanburne gegen seinen eigenen Vater ins Leben gerufen hatte, hielt ganz London auf Trab. In seinen Augen hingegen mutete das Ganze höchst kindisch an. Sanburnes Schwester Stella war kein Opfer, schließlich hatte sie ihrem Gemahl ein Messer in den Hals gerammt. Wenn ihr Vater also entschieden hatte, dass sie künftig in einer Nervenheilanstalt besser aufgehoben war, fühlte sich die männliche Bevölkerung Londons gleich viel sicherer. »Und was befindet sich auf dem anderen Weg an der Gabelung?«
Sanburne nahm einen weiteren Schluck. »Der Mann hat keine Ahnung. Er kann nicht so weit sehen. Aber es verspricht, interessant zu werden.«
»Du hättest Kartograf werden sollen.«
»Gott behüte. Es geht nicht darum, den Weg eines Einzelnen aufzuzeichnen. Einfach drauflos. Wenn man hinfällt, sollte man es genießen.«
Der Kaffee nach türkischer Art war tiefschwarz und schmeckte entsetzlich bitter. Gedankenverloren verrührte Phin den dicken Bodensatz mit dem kleinen Löffel. Das war genau das, was er jetzt brauchte. »Woher kann ein Mann wissen, dass er es genießt hinzufallen, wenn er die Straße vor sich nicht sehen kann?«
»Er kann Vermutungen anstellen.«
»Aber blinde Vermutungen verfehlen gerne mal das Ziel.«
Nachdenklich leerte Sanburne sein Glas. »Ziele werden überbewertet. Richtlinien dienen lediglich den Unkreativen. Bewege dich immer schön am Rande der Pflicht, und eines Tages wirst du im Spiegel einen Fremden sehen.«
Phin fand, dass das eigentlich wie ein verdammt gutes Ziel klang. »Pflichten sind nicht dazu da, um Vergnügen zu erzeugen.«
Stellas Tragödie, so schien es ihm, hatte Sanburne lediglich den nötigen Vorwand geliefert, nach dem er stets gesucht hatte. Es war ihm nie richtig gelungen, sich mit seinen Privilegien anzufreunden, da mit diesen einherging, sich den Wünschen seines Vaters zu beugen. Selbstredend gab es schlimmere Schicksale, als ein Leben in Luxus zu führen, doch Sanburne gehörte zu den Glücklichen, die nie erfahren mussten, wie andere sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlugen. »Pflichten sind einzig dazu da, jemanden davon abzuhalten, vom Wege abzukommen«, schlussfolgerte Phin.
Der stechende Blick, den er von Sanburne erntete, versetzte ihn in Alarmzustand. »Und was, wenn jemand bereits vom rechten Weg abgekommen ist?«
»Dann sollte er sehr vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen. Manche Straßen sind sicherer als andere.« Es kostete ihn eine gehörige Portion Zurückhaltung, nicht unverhohlen auf das Glas in Sanburnes Hand zu starren. Der Mann hatte nun wahrlich keinen Grund, seine Sorgen in Alkohol zu ertränken. Seine angeblichen Probleme waren im Grunde die seiner Schwester, die er sich lediglich ausgeliehen hatte, auch wenn er sich selbst die Schuld an allem gab. »Manche davon bewahren einen vor sich selbst.«
Für den Bruchteil einer Sekunde huschte eine dunkle Gefühlsregung über Sanburnes Gesicht, und Phin dachte flüchtig, dass er sich sogleich gegen eine Faust zur Wehr würde setzen müssen.
Doch dann brach ein lautes Lachen aus Sanburne heraus. »Blödsinn. Ich habe keinen Grund, nicht vom Weg abzukommen. Genauer gesagt mache ich das ständig und amüsiere mich dabei immer aufs Prächtigste. Und darum geht es doch schließlich, nicht wahr? Nach unserem Essen werde ich keinen geraden Schritt mehr vor den anderen setzen, selbst wenn mein Leben davon abhinge.«
Das Gefühl, dass jemand Phin den Hals zuschnürte, meldete sich mit ungeahnter Wucht zurück. »In dem Fall bin ich mir sicher, dass dein Leben nie davon abhing.« Er hatte genug von dem Nonsens und erhob sich. »Ich gehe jetzt.«
Der Viscount lehnte sich genüsslich zurück, sichtlich amüsiert über die überstürzte Ankündigung. »Wer weiß, vielleicht hängt mein Leben ja doch davon ab, von einem krummen Weg.«
»Du wirst es nicht schlecht treffen«, sagte Phin. »Egal, für welchen Weg du dich entscheidest. Dein Glück geht
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