Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
gekratzt, die ihn irritierte. Es war ihm einerlei, dass sie ihm das Leben gerettet hatte, einmal oder tausend Mal, um genau zu sein. Nichts auf Erden konnte ihn je dazu bringen, Mitleid mit einem Günstling Ridlands zu haben.
Auch er war einst einer dieser Günstlinge gewesen, wohl wahr. Und genau deshalb wusste er nur zu gut, welch subtiler Methoden der sich bediente, um Ahnungslose anzuwerben. Wir benötigen für diese Aufgabe einen Kartografen mit überdurchschnittlichen Qualitäten. Der Fluss, um den es geht, wurde noch nie kartografisch dargestellt, da er sich auf feindlichem Gebiet befindet . Ridland hatte meist auf die Naivität und den Idealismus seiner Opfer gezielt und sie dann in einen Käfig gesperrt, dessen Gitterstäbe aus ihrem eigenen Ehrgeiz geschmiedet waren. Mina Masters war clever, genau wie Phin, der Ridland dennoch auf den Leim gegangen war.
Er steckte den Schlüssel in das Schloss und verfluchte sich dafür. Darin liegt die wahre Gefahr der Langeweile, dachte er. Man ist zu anfällig für die Neugier.
Miss Masters saß in einem Sessel am Fenster. Sie hatte die Augen geschlossen, und das sanfte Licht des Nachmittags verlieh ihrem hellblonden Haar einen warmen Schimmer. Hätte er nicht selbst mit angehört, wie sie sich am Schloss zu schaffen gemacht hatte, wäre er geneigt gewesen zu glauben, dass sie es sich gut gehen ließ. Sie hatte eine Decke über ihre Beine gebreitet, und neben ihr auf dem Boden lag ein aufgeschlagenes Buch. Was für eine begnadete Schauspielerin sie doch war. Selbst wenn sie nicht in Ridlands Dienst stand, sondern auf eigene Faust ermittelte, täte er besser daran, sie eingesperrt zu lassen.
Andererseits war es aber ebendieser Einfallsreichtum gewesen, der ihm seinerzeit das Leben gerettet hatte. In diesem Licht betrachtet, stünde er wie ein Verbrecher da, wenn sie eine reine Weste hatte.
Phin wartete einen Moment, doch Mina schien seine Anwesenheit nicht wahrzunehmen. »Wo ist Ihre Katze?«
»Washington? Er versteckt sich mal wieder vor mir.« Sie sprach, als wäre sie mit den Gedanken woanders.
Das Schweigen breitete sich erneut aus, und Mina machte keine Anstalten, es zu beenden. Neugierig, wie es weitergehen würde, lehnte Phin sich gegen die Wand und verschränkte die Arme. Während er wartete, fragte er sich, was er mit diesem Besuch eigentlich hatte bezwecken wollen.
Vermutlich hatte er nach einer weiteren Gelegenheit gesucht, ihr auf den Zahn zu fühlen. Für gewöhnlich beurteilte er Menschen nicht falsch, und genau das bereitete ihm Magenschmerzen. Er wollte unter keinen Umständen denselben Fehler ein zweites Mal machen.
Zum Teufel, er sollte sich nicht in die eigene Tasche lügen. Laura Sheldrake hatte ihn angelächelt, und er hatte ihr die Finger brechen wollen; Mina Masters hatte seinen Schreibtisch durchwühlt, und er hatte nichts lieber tun wollen, als ihr den Rock hochzuschieben und ihr das Stirnrunzeln wegzuküssen. Er war durch und durch widernatürlich, ein Heuchler, wie er im Buche stand. Er stieß sich an Sanburnes launenhafter Unberechenbarkeit, während in den Tiefen seiner eigenen Seele weitaus dunklere Neigungen lauerten. Neigungen, die mit jedweder Vernunft unvereinbar waren. Über Nacht war die trübe, blutige, dunkle Verwirrung, aus der seine Welt bestanden hatte, zu einem einzigen Orbit kollabiert. Einem Orbit, in dessen Zentrum er sich selbst befand. Das Leben sollte leicht sein, aber diese Frau brachte es fertig, in ihm den Wunsch zu schüren, sich kopfüber wieder in den Schlamassel zu stürzen, dem er vor Kurzem erst entkommen war.
Enthauptung oder Ersticken – zu Sanburnes Optionen würde er eine weitere hinzufügen: Miss Masters. Sie drohte, auch noch die letzten Funken seiner Selbstachtung auszutreten. Wenn er das zuließ, war sie seine spezielle Form des Selbstmordes.
Nein, er würde sie auf keinen Fall noch einmal küssen, geschweige denn berühren. Und dennoch stand er da und wartete, bis er sich irgendwann räusperte und fragte: »Haben Sie es bequem genug?«
»Bequem?« Ohne die Augen zu öffnen, zuckte Mina mit den Schultern. »Wenn Sie mir eine Frage beantworten, beantworte ich die Ihre.«
Zorn stieg in ihm auf. Schon damals in Hongkong hatte sie ein besonderes Talent an den Tag gelegt, ihn wütend zu machen. Immerhin kannte er jetzt die Erklärung dafür. Die Frage war: Wie brachte man derart verschlagenen Einfallsreichtum in Einklang mit einer verwöhnten Schönheit, die ein Vermögen mit dem Verkauf von Shampoo
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