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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Sie zieht ihre Fleecejacke enger um sich und verdeckt das T-Shirt, das mit dem provokativen Text bedruckt ist MEINE GÖTTIN HAT EUREN GOTT GEBOREN. »Meine Damen«, ruft sie, »wir haben hier den Hirtenbrief von Bischof Andrews.« Sie nimmt ein Feuerzeug aus der Tasche. »Und das ist unsere Antwort darauf.« Mit ausdrucksvoller Geste zündet sie eine Ecke des Schreibens an und lässt es in den Fingern bis zu einem Schnipsel herunterbrennen.
    Mary Anne lächelt, als enthusiastischer Jubel seitens der Frauen aufbrandet. Soll die Diözese von Manchester doch ruhig glauben, sie seien nur ein Haufen unbedeutender Feministinnen; soll der verknöcherte alte Bischof schreiben, bis er schwarz wird. Aber Seine Exzellenz hat eins übersehen: die MotherGod Society hat immer noch Faith White. Und zwei ihrer Vertreterinnen sind unterwegs in den Vatikan, um einen formellen Protest anzumelden.
     
    Mariah putzt sich die Zähne und zappt durch das spätabendliche Fernsehprogramm, als sie plötzlich Petra Saganoffs Gesicht auf dem Bildschirm im Bad sieht - und im Hintergrund ihr eigenes Haus. »Hollywood Tonight! hat von einer neuen Entwicklung im Fall Faith White erfahren. Unerwartet ist der Vater des kleinen Mädchens, Colin White, nach New Canaan zurückgekehrt und will nun das alleinige Sorgerecht für seine kleine Tochter einklagen.«
    Millie kommt in einem Flanellnachthemd und mit einer dicken Cremeschicht im Gesicht hereingelaufen. »Siehst du das auch gerade?«
    Im Fernsehen werden Aufnahmen yom Gericht eingeblendet. Colin und sein Anwalt erscheinen und sprechen in mehrere Mikros gleichzeitig, die Schultern hochgezogen, um sich gegen den eisigen Wind zu schützen. »Es ist eine Tragödie«, sagt Colin in die Kamera. »Kein kleines Mädchen sollte so aufwachsen müssen…« Seine Stimme versagt, und er scheint nicht in der Lage zu sein, sich weiter zu äußern.
    »Meine Güte«, sagt Millie verächtlich, »hat er einen Anwalt engagiert oder einen Schauspiellehrer?«
    Petra Saganoff ist wieder im Bild. »Malcolm Metz, der Rechtsbeistand von Mr. White, behauptet, Faith sei in der Obhut von Mariah White ebenso physisch wie auch psychisch gefährdet. Selbstverständlich ist nun auch das bevorstehende Sorgerechtsverfahren von öffentlichem Interesse. Wir werden weiter über den Fall berichten. Petra Saganoff von Hollywood Tonight!«
    Millie tritt vor den Fernseher und schaltet ihn zornig aus. »Das ist doch verrückt. Niemand, der auch nur einen Funken gesunden Menschenverstand besitzt, wird Colin auch nur ein Wort glauben.«
    Aber Mariah schüttelt den Kopf und spuckt Zahnpasta ins Waschbecken. »Das stimmt nicht. Sie werden ihn weinen sehen vor Sorge um seine Tochter, und nur daran werden sie sich erinnern.«
    »Der einzige Mensch, der zählt, ist der Richter, und Richter sehen sich keinen Müll an wie diesen.« Mariah spült sich den Mund aus und tut so, als hätte sie nichts gehört. Sie fragt sich, ob Joan die Sendung gesehen hat. Und Ian. Dr. Keller. Ihre Mutter irrt. Man kann viele Menschen erreichen, auch ohne es zu wollen - Faith ist der beste Beweis dafür. Sie lässt das Wasser laufen, bis sie hört, wie Millie den Raum verlässt.
     
    Er weiß, wann der richtige Zeitpunkt ist, um sie anzurufen, weil er den Winnebago so geparkt hat, dass er genau gegenüber von Mariahs Schlafzimmer steht. »Mach das Licht an«, sagt er. »Ian?«
    »Bitte.« Er hört, wie sie sich umdreht, und dann leuchtet das Fenster ihres Zimmers golden auf. Er kann sie nicht sehen, tut aber so, als könnte er es; er stellt sich vor, wie sie sich aufsetzt, den Telefonhörer umfasst und an ihn denkt. »Ich habe auf dich gewartet.«
    Mariah setzt sich bequem zurecht - das hört er am Rascheln ihres Bettzeugs. »Wie lange?«
    »Zu lange«, entgegnet Ian, und hinter den Worten steckt mehr als nur spielerisches Flirten. Ihr nachzublicken, als sie sich im Supermarkt von ihm entfernte, ohne ihr folgen zu dürfen, hatte ihn seine ganze Willenskraft gekostet. Er stellt sich ihr Haar vor, das wie ein goldenes Vlies über das Kissen gebreitet ist, die Rundung ihres Halses und ihrer Schulter, ein Puzzleteil, exakt geformt, um zu seinen eigenen Körperformen zu passen. Er drückt das Handy fester ans Ohr und sagt leise: »Nun, Miss White, wollen Sie mir nicht eine Gutenachtgeschichte erzählen?«
    Er rechnet damit, ein Lächeln aus ihrer Stimme herauszuhören, aber stattdessen klingt diese erstickt von Tränen. »O Ian. Ich fürchte, für mich gibt es keine

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