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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Schwitzen. Selbstverständlich erwartet sein Producer von ihm, dass er seine Untersuchung im Fall Faith fortsetzt, egal, wie er zu der Sache steht. Und um ehrlich zu sein, ist er nicht gewillt, seine Sendung und seinen Ruf zu opfern. Lächelnd wendet er sich James zu. »Natürlich gibt es dafür einen Grund. Ich warte auf… das.«
    Die fremde Frau steigt in ihren Wagen, und Mariah und Faith kommen die Verandatreppe herunter. »Tony! Bist du bereit?«, ruft Ian dem überraschten Kameramann zu, der niemals erwähnen würde, dass Ian ihn gar nicht angefordert hat. Er hängt sich die Kamera über die Schulter, folgt Ian durch die Menge und nickt zu dessen Anweisungen. Ian wirft noch einen Blick zurück, um sich davon zu überzeugen, dass James sie auch beobachtet. Dann überspringt er zur hörbaren Überraschung der Umstehenden die Polizeisperre und steuert geradewegs Mariah und Faith an.
    Er spürt, wie der Polizeibeamte hinter ihm sich einen Weg durch die Menge bahnt, um ihn aufzuhalten. Er hört das anerkennende Raunen der Kollegen angesichts seines Einsatzes. Einige überlegen laut, ob sie es ihm nachmachen sollen. Aber er hält den Blick unverwandt auf Mariah gerichtet, die neben der Schaukel steht und ihm entgegensieht.
    Unschlüssig blickt sie von ihm zu der Menge an der Mauer. »Was machst du denn?«
    Ian streckt die Hand aus, und seine Finger schließen sich um ihren Arm. Er weiß, dass es für einen Außenstehenden so aussehen muss, als würde er sie daran hindern wegzugehen. Es ist ein wunderbares Gefühl, ihr wieder so nahe zu sein, sie anfassen zu können und die Seife auf ihrer Haut zu riechen. »Aller Blicke sind auf uns gerichtet«, sagt er leise. »Tu so, als würdest du mich wegschicken.«
    Der Polizist, ein ganz junger Bursche, bleibt einige Meter entfernt stehen. »Miss White«, keucht er, »möchten Sie, dass ich ihn wegen unbefugten Betretens verhafte?«
    »Nein«, antwortet sie mit einer Stimme, die erst unsicher, aber dann lauter und fester klingt. »Ich habe Mr. Fletcher gerade gebeten, mein Grundstück zu verlassen, da meine Tochter und ich nicht gestört werden wollen.«
    Der Polizist packt Ian am Arm. »Sie haben gehört, was die Lady gesagt hat.«
    Ians Blick brennt sich in ihre Augen. »Ich komme wieder«, sagt er, Worte für die Kamera, die jedoch für Mariah eine völlig andere Bedeutung haben. »Bald.« Unbemerkt streichelt sein Daumen die samtige Unterseite ihres Unterarmes. Mariah erschauert - oder bebt vor Empörung, wie es später in den zahlreichen Medienberichten heißen wird.
    Das Läuten des Telefons weckt mich aus tiefem Schlaf, und ich hauche Ians Namen.
    »Natürlich bin ich es«, sagt er gereizt. »Oder gibt es sonst noch Männer, die dich mitten in der Nacht anrufen?«
    Ich lege den Arm um meine Mitte. »Hunderte«, antworte ich lächelnd. »Tausende.«
    »Tatsächlich. Dann werde ich mich ins Zeug legen müssen, um die Konkurrenz auszustechen.«
    »Was für Konkurrenz?«, frage ich leise und meine das nur halb im Scherz. Wenn Ian bei mir ist, denke ich an nichts anderes mehr - nicht an die Presse draußen vor dem Haus, nicht an Colin und das Sorgerechtsverfahren, nicht einmal an Faith. In Colin habe ich mich verliebt, weil er mich fasziniert hat. Aber Ian … er tut für mich, was Kenzie Van der Hoven für Faith getan hat. Er macht mich alles vergessen.
    Mein Puls beschleunigt sich, und ich werde unruhig. »Ich bin zu alt, um so zu empfinden.«
    »Und wie genau empfindest du?«
    Ich schließe die Augen. »Als würde ich gleich aus der Haut fahren.«
    Einen Moment ist am anderen Ende der Leitung nichts anderes zu hören als sein Atmen. Als er schließlich wieder spricht, klingt seine Stimme höher, angespannter. »Mariah, wegen heute Nachmittag.«
    »Ja. Was denn?«
    »Mein Producer. Er erwartet, dass etwas passiert, er will sicher sein, dass ich noch an der Story dran bin.«
    Plötzlich ist mir kalt. »Und, bist du das?«, frage ich.
    »Ich bin auf deiner Seite«, entgegnet Ian. »Außerdem wusste ich, dass ich, wenn ich die Polizeisperre durchbrechen würde, Gelegenheit bekäme, dich zu berühren.«
    Ich drehe mich auf die Seite, in der Hoffnung, Licht im Winnebago zu sehen, und dabei lehne ich mich so weit vor, dass ich fast aus dem Bett falle. Das Telefon rutscht mir aus der Hand. »Tut mir leid«, sage ich gleich darauf. »Du warst weg.«
    »Nie«, entgegnet Ian, und in diesem Augenblick der Schwäche glaube ich ihm.
     
    KAPITEL 12
     
    Ich habe lange Zeit geschwiegen;

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