Die Wahrheit der letzten Stunde
City. Wie sollten harmlose Aufnahmen von einem kleinen Mädchen, das sich benimmt wie jedes andere kleine Mädchen, irgendjemandem schaden?
Minuten später steht Faith in der Schiebetür. Ihre Wangen sind gerötet von der Kälte, und ihre Leggings sind an den Knien schmutzig. Stolz zeigt sie mir den neuen Kratzer am Ellbogen.
»Da ist sie wieder«, sagt Kenzie Van der Hoven. »Ich muss los.«
Es kostet mich all meine Willenskraft, ihr in die Augen zu sehen. »Danke. Faith hat das gebraucht.«
»Kein Problem. Das Gericht…«
»Sie und ich, wir wissen beide, dass das, was Sie heute getan haben, nichts mit Ihrem Job als Prozesspflegerin zu tun hatte.«
Ich sehe flüchtig ein Flackern in Kenzies Augen; offensichtlich habe ich sie überrascht. Ihre Züge werden weicher. »Gern geschehen.«
Faith zupft an meinem Pullover. »Hast du mich gesehen? Hast du gesehen, wie hoch ich gesprungen bin?«
»Das habe ich. Und ich war ehrlich beeindruckt.«
Sie wendet sich Kenzie zu. »Können Sie nicht noch ein paar Minuten bleiben?«
»Ms. Van der Hoven muss noch anderswohin.« Ich wickle mir Faith’ Pferdeschwanz um den Finger. »Andererseits … ich wette, ich kann ebenso hoch schaukeln wie du eben.«
Der verdutzte Ausdruck auf Faith’ Gesicht ist beinahe komisch. »Aber…«
»Willst du mit mir streiten, oder nimmst du die Herausforderung an?«
Ich sehe gerade noch das breite Lächeln auf Kenzie Van der Hovens Gesicht, als ich auch schon von meiner Tochter quer durch den Garten gezogen werde.
Ian steht draußen vor seinem Winnebago, hervorgelockt von dem Aufruhr, als Faith zum Spielen aus dem Haus kommt. Er sieht zu, wie sie immer höher schaukelt, und unterdrückt ein Grinsen - wer immer die Frau bei ihr ist, sie hat Faith einen großen Gefallen getan.
»Ich bin überrascht, dass Sie nicht in der ersten Reihe stehen.«
Ian wendet sich der unbekannten Stimme zu. Eine Frau steht neben ihm. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Lacey Rodriguez.« Sie reicht ihm die Hand. »Nur eine weitere Gläubige, die von weither angereist ist.«
»Sie sind vom Fach«, spekuliert Ian. »Welcher Sender?«
»Wie kommen Sie darauf, dass ich vom Fernsehen bin?«
»Sagen wir, ich habe eine Nase für so was, Miss … Rodriguez? Andererseits sind die anderen Glaubensfanatiker viel zu sehr damit beschäftigt, Gott zu preisen und Hallelujas zu rufen, um sich hier hinten herumzutreiben. Lassen Sie mich raten … Sie arbeiten für Hardt Copy. Oder Hollywood Tonight! Die haben beide einen ganzen Haufen Laufburschen hergeschickt.«
»Aber Mr. Fletcher«, entgegnet Lacey und imitiert seinen schleppenden Südstaatenakzent. »Sie werden mir noch den Kopf verdrehen mit Ihrer Schmeichelei.«
Ian muss lachen. »Ich mag Sie, Miss Rodriguez. Eindeutig Hollywood Tonight! Sie lassen sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen, und eines Tages werden Sie die Saganoff von ihrem Thron stoßen.«
»Ich bin nicht in der Unterhaltungsbranche«, sagt Lacey bedächtig. »Man könnte sagen, ich bin im Informationsgeschäft.«
Er kneift die Augen zusammen, und sie sieht ihm an, dass er sich die verschiedenen Möglichkeiten durch den Kopf gehen lässt: FBI, CIA, Mafia. Dann wölbt er die Brauen. »Metz hat Sie geschickt. Er hätte wissen müssen, dass ich allein arbeite.«
Lacey rückt etwas näher an ihn heran. »Ich rede ja nicht davon, dass Sie irgendeine Fernsehsendung mit Informationen versorgen sollen. Ich rede von den Mühlen der Gerechtigkeit …«
»Danke, Lois Lane. Ich passe. Wenn ich - sofern überhaupt — Faith White des Betruges überführe, dann zu meinen Bedingungen und dann, wenn ich es für richtig halte.«
»Was könnte Ihnen mehr Glaubwürdigkeit verschaffen, als wenn Ihr Wort vor Gericht gehört wird?«
»Das heißt im Klartext, dass Metz bisher keinen Schmutz ausgraben konnte und jetzt auf meine Beweise dafür scharf ist, dass sie eine Scharlatanin ist.«
»Sie haben Beweise«, haucht Lacey.
»Wäre ich noch hier, wenn dem nicht so wäre?«
Nach einer Weile fischt er eine Visitenkarte aus seiner Brusttasche und kritzelt eine Nummer auf die Rückseite. »Bestellen Sie Metz, dass ich unter Umständen zu einem Gespräch bereit wäre.«
Kaum ist Lacey Rodriguez gegangen, tritt James Wilton auf Ian zu. »Es gibt einen Grund, warum wir das nicht filmen«, sagt er. »Richtig?«
Sein Blick ist wie der aller anderen auf die Haustür gerichtet, wo Faith mit ihrer Mutter und der fremden Frau steht. Ian kommt ins
Weitere Kostenlose Bücher