Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
klarmachen?«
    »Ich werde es versuchen. Aber Metz darf behaupten, was er will. Wenn es ihm gefällt, kann er sogar anführen, Sie würden Faith’ Verhalten mit Hilfe von Voodoopuppen lenken. Ob das der Wahrheit entspricht oder nicht ist unwichtig. Was zählt ist, dass wir hinterher dem Richter klarmachen können, dass Metz ihm einen Haufen Unsinn aufgetischt hat.« Sie seufzt. »Hören Sie. Sie haben einen schwachen Punkt. Sie sind in einer Nervenheilanstalt gewesen. Wenn ich an Metz’ Stelle wäre, würde ich vermutlich auch darauf herumreiten.«
    »Joan«, sage ich mit bebender Stimme, »ich muss meine Tochter sehen.«
    Das Mitleid in ihren Augen lässt mich fast endgültig die Fassung verlieren.
    »Ich werde das Krankenhaus anrufen und mich erkundigen, wie es ihr geht.«
    Ich weiß, dass sie versucht, mir Hoffnung zu machen, aber ihre Worte rinnen durch meine Hände wie Sand.
    »Wir werden dafür sorgen, dass Faith wieder zu Ihnen nach Hause darf.«
    Ihr zuliebe nicke ich und zwinge mich sogar zu einem Lächeln. Aber ich spreche nicht aus, was ich wirklich denke: dass ein Sorgerechtsprozess keine Bedeutung mehr hat, wenn das Kind, um das es geht, nicht mehr lebt.
     
    Als Joan in den Gerichtssaal zurückgeht, fühlt sie sich, als hätte sie eben den Mount Washington erklommen. Es gibt nichts Erbaulicheres, als seinen Mandanten emotional fertigzumachen, unmittelbar bevor er im Zeugenstand sein Bestes geben muss. Mit all den furchtbaren Gedanken, die ihr durch den Kopf gehen, funkelt sie Metz wütend an und betet um eine kurze telepathische Verbindung. Er beugt sich gerade über das Geländer zum Zuschauerraum und spricht mit einem kleineren, schlankeren Abziehbildchen seiner Selbst, bei dem es sich nur um einen weiteren Arschkriecher aus seiner Kanzlei handeln kann.
    Er wendet sich um, als der Richter eintritt und die Anwälte nach vorne ruft. »Also, Mr. Metz, wenn ich mich recht erinnere, haben wir vereinbart, uns an diesem Punkt noch einmal zu besprechen. Darf ich davon ausgehen, dass Sie so weit sind, Ihren Gutachter aufzurufen?«
    Ehe er antworten kann, mischt Joan sich ein. »Ich bitte um Verzeihung, Euer Ehren, aber ich muss wieder Einspruch erheben. Meine Mandantin hat gerade erst erfahren, dass sie ihre Tochter für die Dauer des Prozesses nicht sehen darf, und offen gestanden ist sie mit den Nerven am Ende. Es ist fünfzehn Uhr, und da ich nicht über das Heer von Mitarbeitern verfüge, das Mr. Metz aus seiner Großstadtkanzlei zur Verfügung steht, hatte ich immer noch keine Gelegenheit, mich über das Münchhausen-Syndrom zu informieren. Ich kenne weder diesen Gutachter noch seine Referenzen, und ich habe keinen Schimmer von dieser esoterischen Störung. Wenn Sie Mr. Metz erlauben, diesen Zeugen aufzurufen, denke ich, sollten Sie mir mindestens das Wochenende zur Verfügung stellen, um das Kreuzverhör vorbereiten zu können.«
    Metz nickt. »Keine Einwände. Ich würde auch empfehlen, die Verhandlung für heute abzubrechen, Euer Ehren, damit Ms. Standish den Rest des Nachmittags nutzen kann, um mit ihren Recherchen zu beginnen.«
    »Ach was?«, sagt Joan überrascht.
    Richter Rothbottam runzelt die Stirn. »Augenblick. Sie waren heute Morgen zu erpicht auf den Auftritt Ihres Zeugen, um jetzt eine Kehrtwende zu machen. Was ist los?«
    »Mein Zeuge hat offenbar im Laufe des Tages wiederholt versucht, mit Faith White zu sprechen, was selbstverständlich ein wichtiger Bestandteil seiner Aussage ist, aber sie war offenbar nicht in der Verfassung, befragt zu werden.« Er schenkt Joan ein versöhnliches Lächeln. »Und so hat sich ergeben, dass ich selbst ebenfalls etwas mehr Zeit brauche.«
    »Was für ein Pech aber auch«, bemerkt der Richter ätzend. »Sie haben sich die Suppe eingebrockt, also werden Sie sie auch auslöffeln. Wie Sie bereits ganz richtig bemerkt haben, ist es fünfzehn Uhr. Ich denke, es dürfte Ihnen keine Mühe bereiten, Ihren Zeugen eine Stunde im Zeugenstand damit zu beschäftigen, seine Referenzen aufzuzählen. Wir werden sehen, wie weit wir kommen, und machen am Montag weiter.« Er wendet sich an Joan. »Bis dahin dürften Sie wohl auf das Kreuzverhör vorbereitet sein.«
    »Ja, Euer Ehren.«
    »Großartig.« Er richtet den Blick wieder auf Metz. »Rufen Sie Ihren Zeugen auf.«
     
    Metz’ Experte, Dr. Celestine Birch, hat unübersehbar Ähnlichkeit mit seinem Namensvetter (Birch bedeutet im Englischen »Birke«, Anm. d. Übers.). Groß, klapperdürr und blass wie eine

Weitere Kostenlose Bücher