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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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die Neugeborenen, spricht aber zu ihr. Sie sollte diese Frage nicht beantworten; das ist kein Thema, das man mit Ian Fletcher diskutiert, der - trotz all seines ritterlichen Benehmens in dieser Nacht - morgen wieder ihr Feind sein wird. Aber in den vergangenen Stunden wurde ein Band zwischen ihnen geknüpft, so fein, dass es Mariah vorkommt, als hätten Spinnen ihre feinsten Fäden über eine unglaubliche Entfernung hinweg geworfen, sodass Mariah sich fragt, ob sie Ian nicht vielleicht eine Antwort schuldig ist.
    »Ja. Ich weiß nicht, was Faith sieht, ich weiß nicht, warum sie es sieht — aber ich glaube, dass sie die Wahrheit sagt.«
    Er schüttelt fast unmerklich den Kopf. »Was ich meinte, ist, ob Sie an Gott glauben?«
    »Ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich könnte ohne Zögern mit >o ja< antworten. Ich wünschte, es wäre so einfach.«
    »Aber Sie haben Ihre Zweifel.«
    Mariah blickt zu ihm auf. »So wie Sie.«
    »Ja. Der Unterschied ist nur, dass Sie, wenn Sie die Wahl hätten, gerne glauben würden. Das ist bei mir anders.« Er drückt eine Hand gegen die Glasscheibe vor ihnen und starrt auf die Babys. »>Männlich und weiblich schuf er sie. < Aber man kann unter einem Mikroskop beobachten, wie eine Eizelle befruchtet wird. Man kann mit einer winzigen Kamera filmen, wie Zellen sich teilen oder sich ein Herz formt. Man kann die Entstehung beobachten. Was hat Gott mit diesem biologischen Vorgang zu tun?«
    Mariah denkt an Rabbi Solomon in seinem Hippie-Shirt, der für Faith einen Weg zwischen der Bibel und der Urknall-Theorie gesucht hat. »Vielleicht hat er ihn ursprünglich ermöglicht?«
    Ian wendet sich ihr zu. »Aber wir sprechen hier von wissenschaftlichen Beweisen.«
    Sie überdenkt die Umstände ihrer Einweisung in Greenhaven. »Manchmal sieht man, was direkt vor einem passiert, und zieht trotzdem die falschen Schlüsse.«
    Mehrere Sekunden schauen sie sich stumm in die Augen. Mariah blinzelt zuerst. »Wahrscheinlich wollen Sie heim. Schlafen.«
    Er massiert sich den Nacken und lächelt schwach. »Und wie«, pflichtet er ihr bei, macht aber keine Anstalten zu gehen.
    Mariah ertappt sich dabei, wie sie Ian Fletcher mit den Augen einer anderen Frau sieht: das seidige schwarze Haar, so gerade, dass es über der Stirn stachelig absteht, die langen schlanken Finger auf der Glasscheibe, das Licht hinter seinen hellblauen Augen. »Was waren Sie früher?«, platzt sie heraus.
    Er lacht. »Vor meiner Reinkarnation als Arschloch, meinen Sie?«
    »Nein.« Mariah errötet. »Bevor Sie zum Atheisten wurden. Ich meine, Sie müssen doch als irgendetwas geboren worden sein. Mitglied der Episkopalkirche, Methodist oder Katholik.«
    »Baptist. Südstaaten-Baptist.«
    »Den richtigen Akzent haben Sie jedenfalls«, bemerkt Mariah, ehe sie die Bemerkung zurückhalten kann.
    »Aber nicht die Engstirnigkeit.« Ian lehnt sich mit der Schulter an die Glaswand zum Schwesternzimmer und verschränkt die Arme. »Ich konnte mich mit dem Gedanken an Christus nicht anfreunden.«
    »Vielleicht hätten Sie es mit Judaismus oder dem Islam versuchen sollen.«
    »Nein, es ist nicht der Messias an sich. Vielmehr die Vorstellung, dass ein Elternteil, Gott eingeschlossen, sein eigenes Kind willentlich leiden lässt.« Er blickt auf die ordentliche Reihe von Babys. »Ich kann niemanden verehren, der so etwas zulässt.«
    Mariah ist so überrascht, dass es ihr die Sprache verschlägt. Wenn man es so betrachtete, konnte sie gar nicht anders, als ihm zustimmen. Sie überlegt immer noch, was sie darauf erwidern soll, als Ian lächelt und sie keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. »Ich werde Ihnen sagen, was ich glaube«, sagt er leise. »Ich glaube, dass Faith wieder ganz gesund wird.« Darauf beugt er sich vor und drückt Mariah einen flüchtigen Kuss auf die Wange, ehe er sich abwendet und geht.
     
    KAPITEL 7
     
    Und die Hölle brach los.
    John Milton Paradise Lost
     
    15. Oktober 1999
     
    ZWIE TAGE SPÄTER liegt Faith immer noch im Krankenhaus. Soweit ich weiß, geht es ihr gut, abgesehen von den offenen Wunden an ihren Händen. Aber auch die tun nicht mehr weh, wie sie sagt. Dr. Blumberg, der Handchirurg, hat eine ganze Reihe von Experten hinzugezogen, um sich mit ihnen bezüglich einer Diagnose zu beraten. Er will sich dazu nicht klar äußern, und solange er noch zu keinem Schluss gekommen ist, will er Faith nicht entlassen.
    Ich habe versucht, Colin zu erreichen, aber seine Mailbox sagt nur an, dass er verreist ist, ohne zu

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