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Die Wahrheit der letzten Stunde

Die Wahrheit der letzten Stunde

Titel: Die Wahrheit der letzten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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einen verstohlenen Blick auf den Priester auf dem Beifahrersitz seines alten Chevy und denkt bei sich, dass ein Diplom in pastoraler Psychologie einen noch nicht zum Experten macht. Vater Rourke, frisch vom St.-John-Priesterseminar, ist noch nicht trocken hinter den Ohren. Er ist so jung, dass er vermutlich noch gar nicht geboren war, als Vater MacReady drüben in Vietnam war. Und das Seminar in Boston hat noch zusätzlich verhindert, dass er praktische Erfahrungen sammelt. Er wüsste sicher nicht, wie er ein Gemeindemitglied, in der Praxis beraten sollte, wenn ihm eins über den Weg lief.
    Aber selbstverständlich spricht Vater MacReady seine Gedanken nicht aus. »Pastorale Psychologie«, sagt er freundlich, als er in Mariah Whites Straße einbiegt. »Was hat Sie bewogen, so etwas zu studieren?«
    Vater Rourke schlägt die Beine übereinander, und eine Fleecesocke in Birkenstocksandalen lugt unter seiner schwarzen Hose hervor. »Oh, eine natürliche Begabung im Umgang mit Menschen, denke ich. Ich wäre wohl Psychiater geworden, wenn ich mich nicht zum Priesteramt berufen gefühlt hätte.«
    Und dazu, jedem deine große Begabung kundzutun. »Ich weiß nicht, wie viel der Rektor Ihnen über Faith White erzählt hat.«
    »Nicht viel«, entgegnete Rourke. »Ich soll nur herkommen, um mir ein Bild von ihrem Geisteszustand zu machen.«
    »Ihr Geisteszustand wurde bereits untersucht. Von nichtkirchlichen Psychiatern.«
    Rourke wendet sich ihm zu. »Ihnen ist aber doch klar, dass die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Kind tatsächlich Gott gesehen hat, gleich null ist?«
    Vater MacReady lächelt. »Betrachten Sie ein Glas nie als halb voll?«
    »Wenn es um den Verstand geht, ist halb nicht annähernd so gut wie voll.«
    Vater MacReady parkt den Wagen auf einem Feld gegenüber der White-Auffahrt, zwischen einem Wohnmobil und einer Gruppe älterer Frauen auf Klappstühlen. Der Priester aus dem Seminar schaut sich verdattert um. »Wow! Sie hat ja schon eine ordentliche Anhängerschaft.«
    Sie plaudern eine Weile mit dem Polizisten, der die Zufahrt bewacht, Gott sei Dank ebenfalls ein Mitglied seiner Gemeinde, der sie passieren lässt, als der Vater behauptet, sie wären mit Mrs. White verabredet.
    »Sind wir das?«, fragt Rourke, als sie die Auffahrt hinunter auf das Haus zugehen. »Verabredet, meine ich?«
    »Nicht direkt.« Vater MacReady nähert sich der Haustür und klopft, woraufhin ein schmales elfenhaftes Gesichtchen durch den schmalen Glaseinsatz neben der Tür schaut. Gleich darauf hören sie das Klirren eines Schlüsselbundes und das Aufgleiten von Riegeln. Dann schwingt die Tür auf. »Sie sind schon fast geheilt«, sagt Faith und hält dem Priester die Hände hin. »Sehen Sie, ich brauche jetzt nur noch Pflaster.«
    Vater MacReady pfeift anerkennend. »Und dazu noch Fred-Feuerstein-Pflaster. Wirklich cool.«
    Faith blickt auf den zweiten Geistlichen und versteckt die Hände hinter dem Rücken. »Ich darf eigentlich nicht mit Ihnen sprechen«, fällt ihr plötzlich ein.
    »Vielleicht können wir ja dann mit deiner Mutter sprechen.«
    »Sie ist oben, unter der Dusche.«
    Rourke tritt einen Schritt vor. »Vater MacReady hat mir erzählt, wie gern er sich mit dir unterhalten hat, als du im Krankenhaus warst, und ich habe mich schon darauf gefreut, auch mit dir sprechen zu können.«
    Vater MacReady registriert, dass Faith schwankt. Vielleicht ist ja doch etwas dran an der pastoralen Psychologie. »Faith, deine Mami kennt mich. Sie hätte bestimmt nichts dagegen.«
    »Vielleicht warten Sie besser hier, bis sie runterkommt.«
    Rourke wendet sich an Vater MacReady. »Also, ich weiß ja nicht, was ich jetzt mit den ganzen Spielen tun soll, die ich mitgebracht habe.«
    Faith poliert mit dem Ärmel den Türknauf. »Spiele?«, fragt sie.
     
    Ich bin oben und habe mir gerade das Haar trocken gerubbelt, als ich im Erdgeschoss Männerstimmen höre. »Faith!« Mein Magen verkrampft sich. Hastig ziehe ich mich an und laufe nach unten.
    Sie sitzt mit Vater MacReady und einem zweiten, mir unbekannten Geistlichen, auf dem Fußboden und markiert mit einem grünen Kreis Antworten auf einem Fragebogen, bei dem es sich ganz offensichtlich um einen psychologischen Test handelt. Zähneknirschend mache ich mir eine gedankliche Notiz, den Polizeichef anzurufen, damit er einen protestantischen Beamten an meiner Auffahrt postiert. »Faith, ich habe dir doch gesagt, du sollst niemandem aufmachen.«
    »Ich bin schuld«, antwortet Vater MacReady

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