Die Wahrheit der technischen Welt: Essays zur Genealogie der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) (German Edition)
allein – im Detail manchmal etwas undifferenziert, aber mythographisch stets überzeugend – die These veranschaulicht, daß Pynchons Roman einer aus der Übertragungsphase des Speichermediums Film entstandenen Strukturlogik unmittelbarer Vergegenwärtigung folgt (»präsentifizieren«); Kittler gab an dieser Stelle seines Werks auchder in Deutschland bis heute populären Vergangenheitsphantasie von der bruchlosen Übernahme nationalsozialistischer Militär-Technologie durch die neue Weltmacht der Vereinigten Staaten eine intellektuell-akademische Version, welche als sperriger Patriotismus und bald schon politisch korrekt schillernder Anti-Amerikanismus sein Werk beschwerte (in Interviews der späten Lebensjahre steigerte er diesen Ton bis hin zu der Klage, daß das unglückliche Ende einer Liebesehe vor allem Folge amerikanischer Gastprofessuren gewesen sei). Gerade in solchen Gesten freilich wuchs auch Friedrich Kittlers mythographische Kraft weiter, in diesem Fall und genauer: aus der Fähigkeit, den Widerspruch zwischen grenzenloser Bewunderung des amerikanischen Autors Pynchon und kulturellem Anti-Amerikanismus nicht nur nicht auflösen zu wollen, sondern explizit und kommentarlos engzuführen: »Die narrative Kontinuität der Spielfilme sucht also den Roman heim, der sie zum Thema macht. Handlungen und Dialoge laufen ab, als wären sie unter der Droge geschrieben. Mit der Folge, daß Gravity’s Rainbow auch ein Reader’s-Digest -Artikel ist: banal, konventionell und amerikanisch« (S. 130).
Unter solchen Prämissen schrieb Friedrich Kittler seine mediengeschichtliche Faszination ein Jahrzehnt lang fort, bis hin zur Mitte der neunziger Jahre, wo er auf eine philosophische und existentielle Grenze des Themas gestoßen sein mag. Entscheidend war für diese mittlere Phase seines Werks, welche ihn national zu einem intellektuellen Klassiker und international zu einem Geheimtip machte, daß zum zentralen Gegenstand nun Codes der technischen Medien- und Militärgeschichte wurden – an der Stelle von Diskursen aus der Kulturgeschichte; Codes vor allem, in Beziehung zu denen Maschinen die früher vom Subjekt cartesianischen Typs besetzten Positionen der Menschen-Steuerung übernahmen, was wiederum direkt an das philosophische Motiv einer desillusionierenden Minimierung klassischer Subjekt-Positionen anschloß. In diese neue – nun im vollen und wörtlichen Sinn medienhistorische – Rahmenstruktur integrierte Friedrich Kittler bald Phänomen-Konfigurationen und Beobachtungen, die schon in vorausgehenden Momenten seines Werks zentral gewesen waren.
Noch 1985 etwa wurde unter dem Titel »›Heinrich von Ofterdingen‹ als Nachrichtenfluß« der traditionell als Emblem romantischer Innerlichkeit geltende Novalis-Roman auf die Perspektive von denMedien als ›Speichern‹ und der damit einhergehenden Subjekt-Reduzierung umgeschrieben, was den Text als einen Vorläufer der Literatur-Situation im frühen 20. Jahrhundert erscheinen ließ: »Ein Roman wie Heinrich von Ofterdingen , der den Diskursraum seiner Epoche von Anfang bis Ende, vom unspeicherbaren Rauschen vor jedem Wort bis zum Universalspeicher Philosophie nach jedem Wort oder Autor durchläuft, hat nicht einfach Handlungen. Er handelt« (S. 159). Als Musikliebhaber nutzte Friedrich Kittler die unter denselben Prämissen evidente Möglichkeit, Richard Wagners Konzeption und Praxis von der Oper als Gesamtkunstwerk mediengeschichtlich zu kommentieren und als »respiratorische Erotik«, ja als »Weltatem« ernst zu nehmen. Wenig später experimentierte er dann in dem Aufsatz »Die Stadt ist ein Medium« mit der These, daß sich urbane Architektur-Konzeptionen seit der Zeit Napoleons immer deutlicher an das Kriterium der Zerstörbarkeit der Städte angepaßt haben sollten.
Hier wird erstmals eine die mittlere Phase seines Werks prägende mythographische Tendenz zu apokalyptischen Perspektiven deutlich, in deren kompromißlos nüchterner Inszenierung sich der Medienhistoriker Kittler nicht selten gefiel. Zugleich versuchte er im Blick auf den Vietnamkrieg, wie ihn Coppolas Film Apocalypse Now gegenwärtig machte, und auf Jimi Hendrix, seinen Rock-Helden, unter dem Titel »Rock Musik – ein Mißbrauch von Heeresgerät« den Nachweis zu führen, daß »Hifi und Stereo beide auf Ortungsverfahren« der deutschen Marine und der deutschen Luftwaffe im Ersten Weltkrieg zurückgehen (S. 209) – womit er erneut seinen eigenen Techno-Patriotismus, die vom
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