Die Wahrheit des Alligators
einer ganz persönlichen Strategie verwendet: Er verkauft oder verschenkt Informationen nur, wenn der Gebrauch, der davon gemacht wird, seinen politischen Absichten entspricht.«
»Der spinnt ja. Bist du sicher, daß es eine gute Idee ist, sich an einen solchen Typen zu wenden?«
»Ja. Er ist der einzige, der uns helfen kann, Tatsachen und Personen miteinander in Verbindung zu bringen, und uns raten kann, wie wir am besten vorgehen.«
»Was wird er dafür wollen?«
»Ich glaube, er wird sich mit einer Kopie der Bänder in unserem Besitz zufrieden geben. Jedenfalls dachte ich, sie ihm auf alle Fälle zukommen zu lassen, um sein Interesse zu wecken.«
»Welchen Gebrauch wird er davon machen? Wir haben Giusy Testa unser Wort gegeben ….«
»Erpressungen sind nicht seine Sache. Die Informationen, die ihn interessieren, wird er in seinen Karteikasten stecken, und sich wie ein Kind freuen, daß er wieder in den Besitz von ein paar Paduaner Geheimnissen gekommen ist.«
»Aber wenn er untergetaucht ist, wie willst du dann Kontakt zu ihm aufnehmen?«
»Über seine Frau. Sie heißt Marielita, ist eine Südamerikanerin, vielleicht Uruguayanerin. Sie ist Straßenmusikantin und nicht schwer zu finden.«
»Eine Pennerin?«
»Mh, würde ich nicht gerade sagen. Sie stellt sich zum Spielen immer in der Nähe von bestimmten Gebäuden auf, wie Parteilokale, Finanzämter, Militärkommandos. sie ist seine beste Informantin.«
Am frühen Nachmittag hatten wir sie in der Nähe der Präfektur entdeckt. Wir blieben stehen und sahen ihr von ferne zu. Sie sang ein sanftes Wiegenlied aus den Anden. Die Musikbegleitung kam von einem Charango, dessen Saiten die junge Frau sanft zupfte. Sie mochte dreißig sein. Die langen, schwarzen Haare rahmten ein Gesicht mit feinen Zügen, die ihre Herkunft nur eben erahnen ließen. Sie trug ein gelbes T-Shirt und ein paar enge, grüne Tuchhosen. Während ich zu ihr hinüberging, betrachtete ich eingehend ihren schmalen Körper und den nur angedeuteten Busen. Als ich ihrem Blick begegnete, befand ich mich zwei nachtschwarzen und messerscharf durchbohrenden Augen gegenüber.
»Hübsch«, dachte ich, und im Kopf hörte ich die Strophe eines alten Lieds:
I can see your bright, bronze skin
at ease with all the flowers
and the centipedes.
Ich gab ihr zwei Kassetten, eingewickelt in einen Zehntausend-Lire-Schein.
»Blues?« fragte sie mich mit einem Lächeln, wodurch sie mir zu verstehen gab, daß ich kein Unbekannter für sie war.
»Diesmal nicht, Marielita. Aber Max das Gedächtnis wird sie auf jeden Fall interessant finden. Sag ihm, daß ich morgen eine Antwort erwarte.«
Ich traf sie an derselben Stelle wieder. Sie genoß die glühend heiße Mittagssonne.
»Wie eine Eidechse«, dachte ich und fühlte, wie mir das Hemd lästig am Rücken klebte.
»Heute abend um zehn an der Ecke Via Martiri della Libertà und Via San Fermo. Nur du, deinen Freund laß zu Hause«, dann streckte sie mir die offene Hand entgegen.
»Ist gut«, antwortete ich. Ich gab ihr tausend Lire und ging davon in der Gewißheit, daß sie mir mit Blicken folgte.
Sie kam pünktlich, am Steuer eines dunklen Lieferwagens. Sie kurbelte das Fenster herunter. »Steig hinten ein, schnell.« Ich gehorchte. Als ich die Tür wieder schloß, stellte ich fest, daß die Fenster verdunkelt waren. Max das Gedächtnis wollte offenbar kein Risiko eingehen. Aus den Fahrbewegungen schloß ich, daß wir verschlungene Wege fuhren, offenbar, damit ich die Orientierung verlor. Das einzige, was ich erkennen konnte, war das Summen eines automatischen Gartentors, und zwar erst, als die Reise praktisch zu Ende war. Dann fuhr der Lieferwagen in einen Keller hinunter. »In einer Villa«, dachte ich, als die Frau mich aussteigen ließ.
Ich ging hinter ihr die Treppe hinauf und bemerkte, daß sie elegant gekleidet war, mit einem weiten, geblümten Rock und einer blauen Seidenbluse. Sie begleitete mich bis an die Schwelle zu einem halbdunklen Raum und verschwand, noch bevor ich mich an die Dunkelheit hatte gewöhnen können. Vor mir in einem Sessel sah ich die Umrisse eines Mannes, der beim Betrachten eines Schwarzweißfilms aus vollem Halse lachte.
»Komm näher, Alligator, willkommen in meiner bescheidenen Hütte. Kennst du diesen Film?«
»Ich glaube nicht.«
»Das ist Tote tragen keine Karos von Carl Reiner, mit Steve Martin. Eine echte Augenweide: Es wurden Stücke aus alten Filmen mit einmontiert, so daß es aussieht, als würden die
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