Die Wahrheit des Alligators
Schauspieler sich mit echten Stars aus den vierziger Jahren unterhalten. Burt Lancaster ist dabei, Alan Ladd, Humphrey Bogart. Und weißt du, was der Held ist?«
»Nein.«
»Privatdetektiv. Wie du. Ich habe ihn mir dir zur Ehre angesehen und hoffe, du erlaubst, daß ich dir die Videokassette schenke. Du wirst ihn vielleicht lehrreich finden.« Er schaltete den Videorecorder aus und machte das Licht an. Ich sah mich einem großen, beleibten Mann gegenüber, mit dem typischen Bauch des Biertrinkers, der viel sitzt. Er hatte einen kurzen, graumelierten Bart und zwei große blaue Augen, die dem gutmütigen Eindruck, den sein Körper machte, widersprachen, denn sie verrieten die ganze Gerissenheit und Intelligenz der Person. Er zündete sich eine Zigarette an. Er hatte die typischen gelben Finger von Kettenrauchern. Unwillkürlich dachte ich an meine eigenen, ebenfalls gelbfleckigen.
»Was trinkst du? Ah, was für eine dumme Frage. Calvados, natürlich«, er schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn, womit er den Schauspieler Tino Buazzelli im Reklamespot für einen Aperitif nachahmte.
»Wenn du mir Eindruck machen willst, Max, mußt du mir schon mit etwas weniger Abgedroschenem kommen. Das weiß doch in Padua jeder Barmann, daß ich ausschließlich Cidre-Destillat trinke.«
»Ich hab ja nur Spaß gemacht, Alligator, nur Spaß gemacht. Interessant, die Aufnahmen, die du mir da geschickt hast«, sagte er, plötzlich ernst. »Erzähl mir alles von Anfang an. Ich bin echt gespannt.«
Ich sprach lange, ohne auch nur das kleinste Detail auszulassen. Einem Analytiker darf man nichts verbergen. »Da hast du dich ja in einen schönen Schlamassel hineingeritten, Alligator. Es wird nicht leicht sein, da wieder herauszukommen. Komm mit.«
Er betrat einen anderen großen Raum. In der Mitte ein Tisch mit Computer, an den Wänden drei große Karteischränke und ein Regal mit den kompletten Jahrgängen der lokalen Tageszeitungen.
Er setzte sich auf den Sessel hinter dem Schreibtisch und wies mir den Stuhl gegenüber an.
»Setz dich, Alligator, und laß uns die ganze Geschichte noch einmal durchgehen. Es fängt alles an mit deiner eher tollkühnen Entscheidung – du hättest dich sofort an mich wenden sollen –, die Unschuld des Strafgefangenen und Freigängers Alberto Magagnin nachweisen zu wollen. Seit deine Ermittlungen in Gang gekommen sind, bist du auf Milieus gestoßen, die nicht immer in einer direkten Verbindung zu dem Fall standen. Ich beziehe mich natürlich auf die Sadomasochisten im Umkreis von Giusy Testa, auf den Kokainhandel und die Prostitution in gehobenen Kreisen. Erst als du bei Artoni angelangt bist haben deine ermittlerischen Tätigkeiten ihr erstes bedeutendes Ergebnis gebracht, denn gleichzeitig hast du neben Tatmotiv und Mörder im Fall Piera Belli entdeckt, daß der Prozeß Mocellin Bianchini getürkt war, eben genau um den armen Magagnin zu verurteilen. Den Grund wissen wir nicht, aber Artoni hat verraten, wer da hinter den Kulissen die Fäden gezogen hat: der namhafte Strafrechtler beim Gerichtshof Padua Alvise Sartori und der Textilunternehmer Carlo Ventura, Exehemann der unglücklichen Evelina Mocellin Bianchini. Jetzt können wir unserem Puzzle ein weiteres Stück hinzufügen: Es liegt auf der Hand, daß Professor Artoni diesen beiden Herren nie etwas von der Erpressung gesagt hat, der er ausgesetzt war, denn in diesem Fall hätte man sofort eine Reaktion gesehen. In der Tat hätten die beiden umgehend dafür gesorgt, daß die Frau unschädlich gemacht wird, und das wäre ihnen bestimmt auch besser gelungen als ihm, weniger stümperhaft. Der betrauerte Kriminologe hingegen zog es vor, die Quälereien, denen er ausgesetzt war, drei Jahre hindurch zu ertragen, da er sehr wohl wußte, daß seine einflußreichen Freunde, wenn sie erst einmal die Wahrheit erfahren hätten, ihn als nicht verläßlich eingestuft und folglich fallengelassen hätten. Und so hätten sich all seine beruflichen Erfolge von einem Moment auf den anderen in nichts aufgelöst. Er war also allein mit seinem Problem und nervlich mittlerweile fast völlig zerrüttet, und so traf er die einzige Entscheidung, die ihm einleuchtend schien: zum Killer zu werden. Er hat einen Plan ausgeheckt, den er bis zu eurem Treffen für perfekt hielt. Wir können uns also ausmalen, wie niedergeschmettert er nach eurem kleinen Besuch gewesen sein muß, und wir können davon ausgehen, daß er keinen Augenblick gezögert haben wird, sich mit
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