Die Wahrheit des Alligators
gemeinsam.«
»Wirklich? Und was?« fragte ich erstaunt.
»Ein Feuer, das in euch brennt und euch verzehrt. Das Herz ist euch darüber ganz klein und schwarz geworden und hart wie eine Faust.«
»Jeder hat so seine Sorgen«, sagte ich abgeklärt, um das Thema zu beenden.
»Ihr könntet neue Wege beschreiten, ein neues Leben anfangen, aber ihr kommt nicht von eurer Vergangenheit los. Ihr habt alte Rechnungen zu begleichen, vor allem mit euch selbst, und jeder Tag, der vergeht, ist eine neue Wunde …«
»Das ist der Fluch unserer Generation, Schwester« scherzte ich. »An dem Punkt allerdings«, setzte ich gleich wieder ernst hinzu, »begreife ich nicht, wieso du mit Max zusammen bist und mit ihm zusammenarbeitest. Du riskierst das Gefängnis. und da werden Wunden am Fließband fabriziert.«
»Gefangenschaft ist mit einkalkuliert. Seit jeher. In Wirklichkeit verdanke ich ihm alles, und er leidet unter der Einsamkeit wie ein Kind. Und dann, Max ist eine Wette mit der Geschichte, und wir Südamerikaner lieben Wetten.«
»Mir dagegen kommt er vor wie einer dieser japanischen Soldaten, die sich jahrelang auf irgendwelchen Inselchen im Pazifik verkrochen haben, weil sie nicht glauben konnten, daß der Kaiser sich ergeben hatte.«
»Sei nicht zynisch, Alligator. Er hilft einer Menge Leuten und glaubt aufrichtig an das, was er tut. Das eigentliche Problem ist, daß er nie an sich selber denkt.«
Ich streichelte ihr Gesicht. »Entschuldige, ich hab’ Blödsinn geredet. Er hilft auch mir sehr, und ich schätze ihn deswegen. Ich meine, er kann sich glücklich schätzen, dich an seiner Seite zu haben. Du bist eine großartige Frau, Marielita.«
»Meinst du das im Ernst?«
»Ja.«
D u hast Gras im Haar«, sagte der alte Rossini und zwinkerte mir zu.
Ich fuhr mir mit der Hand über den Kopf. »Max das Gedächtnis hat mir nichts Gutes sagen können. Die Lage ist ernster, als wir dachten.«
»Dann laß mich erst hinsetzen«, murmelte er resigniert. Während er meiner Erzählung lauschte, wurde seine Miene zusehends finsterer, und am Schluß resümierte er: »Wir stecken wirklich in der Patsche, Marco. Wir haben keinen Moment Zeit zu verlieren.«
Mit penibler Umsicht, so als wäre uns Interpol auf den Fersen, plante er unser Untertauchen.
Er verbreitete das Gerücht, wir würden nach Dalmatien fahren und längere Zeit wegbleiben. Mit meiner Hilfe staffierte er das Motorboot mit allem Nötigen für die Reise aus. Wir nützten das Hin und Her der Reisevorbereitungen, um einen zuverlässigen Schmuggler unbemerkt unter Deck zu bringen. Dann schloß mein Freund das Haus ab, ließ unsere beiden Autos gut sichtbar im Garten geparkt stehen, und dann brachen wir endlich auf. Kaum waren wir weit genug vom Ufer entfernt, übergab er das Kommando dem dritten Mann und befahl ihm, uns zum Lido zu bringen. Von dort gelangten wir mit einem Vaporetto zum Bahnhof von Venedig, und im Schutz der Touristenmassen erreichten wir Padua, sicher, unbemerkt geblieben zu sein. Mit zwei Telefonaten beschaffte uns Rossini ein Motorrad, unser neues Transportmittel, und ein sicheres Quartier, eine Wohnung, die von einer bergamaskischen Einbrecherbande zur Verfügung gestellt wurde. Für unsere Ausgaben verwendeten wir das Geld von Piera Belli, das Magagnin uns vererbt hatte.
»So, jetzt kann man anfangen, vernünftig nachzudenken«, sagte er, kaum daß wir das kleine Appartement in dem Wohnviertel Città Giardino bezogen hatten, das von nun an unsere Unterkunft sein würde.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie man Ermittlungen durchführt und sich dabei versteckt hält.«
»Das sind keine Ermittlungen mehr, Marco. Das ist ein Bandenkrieg: Die von Sartori gegen unsere.«
»Wir zwei wären eine Bande? Das italienische Gesetzbuch legt aber fest, daß eine kriminelle Vereinigung aus mindestens drei Personen bestehen muß.«
»Zum Henker mit dem Gesetz. Der Herr Anwalt will uns beseitigen lassen: tot oder im Gefängnis. Sobald er uns aufgespürt hat, braucht er nur noch die passende Methode zu wählen, und ich habe überhaupt keine Lust, der nächste Magagnin zu werden. Der Analytiker hat es dir klipp und klar gesagt: Der einzige Weg, um zu verhindern, daß die anderen uns reinlegen, ist, ihnen zuvorzukommen. Dann werden Verhandlungen aufgenommen, wie in allen Kriegen zwischen Banden, die was auf sich halten.«
»Beruhige dich, Benjamino …«
»Nein, ich beruhige mich nicht. Es sollte ein Kinderspiel werden, und nun stecken wir bis zum
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