Die Wahrheit des Alligators
zwei Beweise gesammelt haben. Dann setz ich mich mit Sartori in Verbindung, und wir verhandeln.«
»Reicht dir das Geständnis von Sperandio nicht?«
»Leider nicht. Es fehlen noch ein paar Informationen.«
»Und wer ist jetzt dran?«
»Professor Agostino Andreose.«
»Noch ein Überfall?«
»Ich glaube, ein Anruf genügt.«
Ich verband das Mikrophon des Aufnahmegeräts mit dem Handy und gab die Nummer der Klinik ein. Die Zentrale verband mich mit dem Vorzimmer des Professors, und es antwortete die Sekretärin, der ich die Rolle des Patienten vorgespielt hatte.
»Hier spricht Marco Ventura. Ich möchte mit dem Professor sprechen.«
»Einen Moment, bitte.«
Es vergingen ein paar Minuten, dann nahm die Sekretärin den Hörer wieder in die Hand.
»Der Professor ist im Augenblick beschäftigt. Er läßt Ihnen ausrichten, Sie sollen in ein paar Tagen wieder anrufen.«
»Nein. Ich will jetzt mit ihm sprechen.«
»Ich haben Ihnen doch gesagt, er ist beschäftigt.«
»Dann sagen Sie ihm, ich habe die Absicht, mich zu stellen.« Nach ein paar Sekunden fragte eine männliche Stimme: »Was sind das für Geschichten, Marco?«
»Guten Tag, Professor Andreose. Ich bin nicht Marco Ventura. Verzeihen Sie den Trick, aber ich hatte keine andere Wahl.«
»Dann haben wir uns nichts zu sagen. Adieu.«
»Warten Sie noch, bevor Sie wieder auflegen, das könnte fatale Konsequenzen für Sie haben. Ich weiß alles über die falsche Einlieferung von Marco Ventura, Sie sollten mich lieber anhören. Ich habe mit Ihrer ehemaligen Sekretärin und mit Natale Sperandio gesprochen. Wenn Sie auflegen, garantiere ich Ihnen, daß Sie jede Menge Scherereien bekommen.«
»Aber wer sind Sie denn? Was wollen Sie?«
»Auskünfte. Seit fast einem Monat laufe ich nun schon durch diese Stadt und stelle Fragen, und ich bin müde. Müde und verärgert. Also versuchen Sie, vernünftig zu sein und mir entgegenzukommen. Ich versichere Ihnen, daß dieses Gespräch vertraulich bleibt und daß Sie von mir nichts zu befürchten haben. Ich habe keinerlei Interesse an Ihrer Person, auch wenn ich meine, Sie sollten dafür büßen, daß Sie zugelassen haben, daß ein Unschuldiger verurteilt wird, anstelle eines Sprößlings aus guter Familie.«
»Ich war durch die ärztliche Schweigepflicht gebunden.«
»Dann brechen Sie sie jetzt.«
»Es ist vielleicht nicht angebracht, am Telefon darüber zu reden. Sie können in die Klinik kommen.«
»Versuchen Sie nicht, Zeit zu schinden. Sie haben keine Wahl: Entweder Sie reden, oder ich ruiniere Sie.«
»Ist gut, wie Sie wollen … Ventura und Sartori baten mich, den Jungen in die Klinik aufzunehmen. Sie sagten, er hätte sich in Schwierigkeiten gebracht … noch wußte ich nichts von dem Mord … also willigte ich ein. Sie baten mich, ihn einer medikamentösen Behandlung zu unterziehen, die ihn daran hinderte, mit irgendwem zu kommunizieren. Dann kam Sperandio und erzählte mir, der Junge behaupte, einen Mord begangen zu haben. Ich rief sofort den Vater an, und der Anwalt und er sagten, ich solle beruhigt sein, der Junge glaube, ein Mörder zu sein, aber der wirkliche Täter sei schon im Gefängnis. Sie erklärten mir, sie wollten den Jungen von den Richtern, vor allem aber von der Presse fernhalten, um das Andenken der Toten vor seinen Phantastereien zu bewahren und den Gang der Justiz nicht zu behindern.«
»Und das haben Sie geglaubt?« fragte ich ironisch. »Im ersten Moment ja. Ich wußte, daß Marco eine problematische Persönlichkeit war, deshalb fiel es mir nicht schwer, zu glauben, daß er sich mit einem Mörder identifiziert.«
»Und dann?«
»Nach ungefähr drei Wochen brach ich die medikamentöse Behandlung ab, und der Junge war in der Lage, Gespräche zu führen. Er beschrieb das Delikt mit einer solchen Fülle an Details, daß die Annahme, er könnte der Täter sein, absolut glaubwürdig wurde.«
»Und warum haben Sie ihn dann nicht angezeigt?«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Da er mein Patient war, war ich an die Schweigepflicht gebunden. Und im übrigen verfolgte die Justiz schon eine andere Person, die dann im Prozeß auch verurteilt wurde. Ich bin Psychiater, nicht Richter …«
»Reden Sie keinen Scheiß«, unterbrach ich ihn. »Was hat er Ihnen sonst noch erzählt?«
»Ich bin der Sache auf den Grund gegangen, vom psychiatrischen Standpunkt aus, versteht sich, und bin zu dem Schluß gelangt, daß es eine Affekthandlung gewesen sein muß, die in einer Persönlichkeit mit
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