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Die Wahrheit des Alligators

Die Wahrheit des Alligators

Titel: Die Wahrheit des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Massimo Carlotto
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obsessiven Tendenzen herangereift ist.«
    »Hören Sie doch auf mit diesem hochtrabenden Gerede.«
    »Gut. Marco haßte Evelina Mocellin Bianchini, weil sie ihm die Vaterfigur weggenommen hatte und so nicht nur ihn, sondern auch die Mutter in eine Krise gestürzt hatte; die Mutter litt nämlich noch stark unter den psychischen Folgen der Entführung, deren Opfer sie einige Jahre zuvor gewesen war. Wohlgemerkt, die Frau schürte den Haß des Sohnes, wo sie nur konnte, und das ging so weit, daß eine regelrechte Zwangsvorstellung in ihm heranreifte. Auslöser für den Mord war die Entdeckung der Beziehung, Evelinas mit Rechtsanwalt Sartori, eine Beziehung die noch vor der Eheschließung mit Carlo Ventura angefangen hatte und nie unterbrochen worden war.«
    »Wußte Ventura darüber Bescheid?«
    »Ja. Ich glaube, er hat es immer gewußt. Die Ehe war eine reine Geschäftssache. Fragen Sie mich nicht nach mehr, denn ich weiß nichts, aber ich kann Ihnen versichern, daß Gefühle dabei keine Rolle spielten.«
    »Und wie hat Marco die Beziehung entdeckt?«
    »Er hat es von Francesco und Selvaggia erfahren, den Kindern der Mocellin Bianchini. Marco erzählte mir, sie würden ihn häufig aus den USA anrufen und immer ziemlich abschätzig über die Mutter reden – sie nannten sie eine Schlampe –, und sie hätten die Sache mit dem Ehebruch immer wieder mit neuen Details ausgeschmückt.«
    »Wollen Sie damit sagen, Francesco und Selvaggia hätten Marco Ventura die Hand geführt?«
    »Gewissermaßen.«
    »Warum?«
    »Das weiß ich nicht. Das müßten Sie die beiden fragen. Ich kann lediglich vermuten, daß die Beziehungen zu ihrer Mutter sich aufgrund ihres. eher lockeren Ehelebens immer mehr verschlechtert haben. Außerdem warfen sie ihr vor, sie hätte den Vater an gebrochenem Herzen sterben lassen. Wie dem auch sei, ein keineswegs nebensächliches Detail ist jedenfalls: Nach ihrem Tod haben die beiden ein beträchtliches Vermögen geerbt.«
    »Eine letzte Frage. Warum hat Ihrer Meinung nach Ventura, als er entdeckte, daß der Sohn zigmal auf seine Frau eingestochen hatte, ihn nicht der Justiz ausgeliefert?«
    »Um den Drohungen seiner Ex-Frau aus dem Weg zu gehen … vor mir, in meinem Ordinationszimmer hat sie wörtlich gesagt: ›Komm bloß nicht auf die Idee, meinen Sohn zu ruinieren, sonst plaudre ich nämlich all deine Machenschaften aus.‹ Aber ich glaube nicht, daß man ihn mit Drohungen überzeugen mußte. Ventura hätte seinen Sohn in jedem Fall gedeckt, denn ein Skandal von diesen Ausmaßen hätte auch für ihn den Ruin bedeutet.«
    »Und Sie, als braver Seelenklempner der Reichen, haben auch mitgemacht. Sie haben noch ein hübsches Häufchen Sand draufgeschaufelt, um die Wahrheit begraben zu helfen.«
    »Verschonen Sie mich mit Ihrer billigen Moral. Sie sind ja überhaupt nicht in der Lage, die Komplexität meiner Lage zu begreifen.«
    »Lassen Sie mich bloß nicht bedauern, Ihnen Stillschweigen über Ihre Mauscheleien versprochen zu haben. Ich habe unsere Unterhaltung aufgenommen, und sollten Sie versuchen, irgendwelche Mätzchen zu machen, dann können Sie sich von Ihrer glänzenden Karriere verabschieden.«

    Ich goß mir Calvados ein und trank einen kräftigen Schluck davon, dann nahm ich das Handy wieder zur Hand und wählte eine andere Nummer. Während ich wartete, spulte ich die Kassette zurück.
    »Wer ist da?« fragte eine Frauenstimme mit ausländischem Akzent.
    »Ich möchte mit der Signora sprechen, ich bin ein alter Freund von ihr.«
    »Einen Moment bitte.«
    »Hallo?« sagte eine andere Stimme in gedehntem und gelangweiltem Tonfall. »Selvaggia?«
    »Ja?«
    »Du kennst mich nicht, aber ich habe dir eine interessante Geschichte zu erzählen.«
    »Eine Geschichte? Ist das eine neue Form von telefonischer Belästigung?«
    »Nein. Ich bin bloß einer, der Geschichten erzählt. Die heutige handelt von drei Sprößlingen aus gutem Hause, die in einen Mord verwickelt sind. Interessiert dich das?«
    »Sicher. Ich liebe Krimis«, antwortete sie völlig cool. »Und ich liebe deinen blasierten Tonfall. Das schafft die richtige Atmosphäre. schauen wir mal. man schrieb das Jahr 1976, zwei der drei Protagonisten dieser Geschichte studierten in den Vereinigten Staaten an renommierten Universitäten. Sie hatten Italien verlassen, weil sie sich mit ihrer Mama nicht vertrugen, die im übrigen seit kurzem verwitwet war. Sie vergötterten den Vater, und bei seinem Tod hatten sie sich geschworen, daß sie mit ihrer

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