Die Wahrheit des Alligators
Hunderttausend-Lire-Scheinen aus der Tasche und breitete ganz behutsam einen davon auf das niedrige Tischchen zwischen ihm und der Frau aus. »Was soll das heißen?« fragte sie beklommen. »Daß wir keine schlechten Absichten haben. Wir wollen nur ein paar Dinge über Marco Ventura wissen, und dafür lassen wir ein hübsches Sümmchen springen, so daß Sie leichter für die Bedürfnisse ihres Enkelkinds sorgen können«, antwortete ich. »Wollen Sie dem Professor Ärger machen?«
»Absolut nicht. Uns interessiert nur Marco Ventura.« Sie warf mir einen Blick zu. Vielleicht dachte sie, daß sie uns vertrauen konnte, vielleicht war es aber nur der Anblick des Geldes. Ein paar Augenblicke später schien sie sich gefaßt zu haben. Sie wartete ab, bis Benjamino ungefähr dreißig Banknoten herausgezogen hatte, dann fragte sie: »Was wollen Sie wissen?«
»Erinnern Sie sich an den Grund für die Einlieferung von Marco Ventura?«
»Ich glaube, es handelte sich um eine depressive Krise.«
»Und stimmte das?«
»Ich weiß es nicht, ich denke ja. Ich habe den Patienten nie gesehen, weil er in der Abteilung B untergebracht war, bei den unruhigen Patienten. aber Professor Andreose ist ein erstklassiger Psychiater, wenn er die Einlieferung angeordnet hat, dann wird es einen Grund dafür gegeben haben.«
»Erinnern Sie sich noch, wie lange der Junge in der Klinik geblieben ist?«
»Ungefähr einen Monat. aber fragen Sie mich nicht nach genauen Daten … es ist so viel Zeit vergangen.«
»Ist in dieser Zeit etwas Außergewöhnliches vorgefallen?«
»Tja, eigentlich schon, etwas Merkwürdiges ist passiert. Der Vater und die Mutter von Marco kamen jeden Tag und sprachen mit dem Professor. Sehr oft kamen sie in Begleitung eines anderen Inhabers der Klinik, Rechtsanwalt Sartori. Sie schlossen sich im Zimmer des Professors ein, und er schickte mich unter einem Vorwand weg.«
»Sonst nichts?«
»Eines Tages bat Natale Sperandio, ein Pfleger, der in der unruhigen Abteilung Dienst machte, mit dem Professor sprechen zu können. Es waren ungefähr zwei Tage seit der Einlieferung des Jungen vergangen. Von da an ließ er sich oft blicken und hatte mehrere Unterredungen mit Dottor Ventura und Rechtsanwalt Sartori.«
»Arbeitet dieser Kollege noch in der Klinik?«
»Nein, er ist vor mir in Pension gegangen, mit der Mindestrente.« Bevor wir gingen, näherte Benjamino sich der Frau und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie fuhr zusammen, starrte aber nach wie vor unverwandt auf das Päckchen Banknoten. »Hast du ihr gedroht?« fragte ich.
»Ein bißchen. Ich habe sie daran erinnert, daß wir zwei wenig empfehlenswerte Typen sind.«
»Es ist zu spät, um zu Sperandio zu gehen«, sagte ich mit einem Blick auf die Uhr. »Wir könnten das morgen früh machen.«
»Einverstanden. Jetzt schauen wir mal nach, ob die Carusos in der üblichen Bar sind. Wir müssen die Verhandlungen um unser Scheintreffen fortsetzen.«
Die Brüder waren hocherfreut, die Stimme meines Freundes zu hören. Sie schlugen vor, uns noch am selben Abend auf einer Landstraße hinter der Pferderennbahn zu treffen. Rossini schlug dagegen ein Treffen am nächsten Tag um 18 Uhr in einer Bar im Geschäftsviertel vor. Die Verhandlungen zogen sich ungefähr zehn Minuten lang hin, dann verabschiedeten sie sich mit der Zusicherung, am nächsten Tag wieder voneinander zu hören.
»Sie wollen, daß das Treffen an einem ruhigen Plätzchen in der Nähe des Flusses stattfindet, so können sie unsere Leichen auch gleich entsorgen«, informierte mich Benj amino. »Wie fürsorglich. Was, meinst du, tun sie, außer darauf zu warten, daß wir uns entschließen, sie zu treffen?«
»Sie haben bestimmt eine großangelegte Suchaktion eingeleitet, um uns zu orten, wobei sie dem, der uns als erster sichtet, ein hübsches Kopfgeld versprochen haben. Auch sie haben es eilig, zu einem Ende zu kommen.«
Wir kehrten in unser Quartier zurück. Benjamino kochte das Abendessen, ich schaltete den Fernseher ein und suchte auf einem Lokalsender die Nachrichten.
Kein Hinweis auf den Mord an Piera Belli, die Flucht von Magagnin oder den Selbstmord von Professor Artoni. Nur zum Schluß eine kurze Notiz zum Gesundheitszustand von Marietto Carraro, der noch nicht wieder zu Bewußtsein gekommen und daher nicht in der Lage war, den Ermittlern bei der Identifizierung seiner mysteriösen Aggressoren behilflich zu sein.
Mit einem Schlag war mir der Appetit vergangen, und ich verbrachte den Rest des Abends mit
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