Die Wahrheit des Alligators
Trinken und Musikhören. Zu den Klängen von Jimmy Reed, der Little Rain sang, schlief ich ein.
Der ehemalige Krankenpfleger Natale Sperandio wohnte in einem Einfamilienhaus in der Umgebung von Monselice, einem Dorf in der Paduaner Tiefebene. Trotz aufwendiger Renovierungs- und Verschönerungsarbeiten ließ das von Weinstöcken umgebene Haus seine bescheidenen Ursprünge doch noch erkennen.
»Nicht übel die Hütte für einen, der mit der Mindestrente ausgeschieden ist«, bemerkte der alte Rossini, während er den Helm abnahm und ich vom Motorrad stieg. »Genau. Was wetten wir, daß das Geld zum Aufmöbeln des Häuschens aus der Tasche von Carlo Ventura stammt? Ich glaube nicht, daß unser Rentner begeistert sein wird, wenn wir ihn bitten, über seinen Wohltäter zu sprechen.«
»Vermutlich. Hier helfen uns unsere Ausweise nicht, ihn einzuschüchtern. Bringen wir die Polizistennummer?«
»Das scheint mir nicht ganz passend. Du kennst doch selbst den Paduaner Spruch: ›Ich bin so anständig, daß ich noch nie vor Gericht stand, nicht mal als Zeuge.‹ Die Aussicht, es mit dem Gesetz zu tun zu bekommen, würde ihn derart einschüchtern, daß er den Mund überhaupt nicht mehr aufmachen würde. Um ihn zum Reden zu bringen, müssen wir ihn davon überzeugen, daß wir seine kleinen Missetaten nicht an die große Glocke hängen, daß wir aber die Früchte seines opferreichen Lebens vernichten werden, wenn er sie uns nicht erzählt.«
»Also der Trick mit den Benzinkanistern?«
»Genau der.«
»Der ist mir der liebste. Er funktioniert immer.« Eine Stunde später waren wir mit allem Nötigen zurück. An der Tür erschien eine Frau, sicher Sperandios Frau; bevor sie ein Wort sagen konnte, setzte Benjamino ihr die Pistole an die Stirn und schob sie hinein. Ich folgte ihm mit zwei Zwanzigliterkanistern Benzin.
Stotternd und im Paduaner Dialekt sagte sie, ihr Mann sei im Keller beim Weinabfüllen.
Als Sperandio unsere Anwesenheit bemerkte, wurde er bleich. Starr vor Schreck gaffte er uns mit offenem Mund an. Mein Freund schoß auf die Fässer. Mann und Frau hielten sich die Ohren zu und schauten ungläubig auf die rote, schäumende Flüssigkeit, die am Boden langsam eine Lache bildete. Wie willenlose Puppen ließen sie sich ins Haus zurückführen. Die Frau sperrten wir in eine Kammer ein, den ehemaligen Krankenpfleger brachten wir ins Wohnzimmer und ließen ihn auf einem Sessel Platz nehmen. Der Raum lag im Halbdunkeln und roch arg muffig. Er wirkte, als würde er nur zu den hohen Feiertagen benützt werden. Die Stühle waren noch mit der Plastikfolie überzogen, in der sie gekauft worden waren.
Sperandio versuchte zu reden, aber Rossini steckte ihm den Lauf der Pistole in den Mund, während ich einen Kanister aufschraubte und einige Liter Benzin über ein Sofa goß. Dann nahm ich mir einen Sessel und setzte mich ihm gegenüber. Aus der Tasche zog ich das Tonbandgerät und eine Schachtel Streichhölzer.
Ein paar Minuten lang sah ich ihn schweigend und mit finsterer Miene an. Ich sah, wie sich ein dunkler Fleck auf seiner Hose ausbreitete.
»Das ist aber gar nicht schön, sich vor Gästen in die Hose zu machen«, verhöhnte ich ihn. »Allerdings hast du recht, Angst zu haben. Dieses Jahr wirst du deinen selbstgemachten Wein nicht trinken können und wirst bei der Gemeinde für dich und deine Alte um einen Platz im Obdachlosenheim betteln müssen, denn dieses Haus wird in Flammen aufgehen, und zwar in genau«, theatralisch sah ich auf die Uhr, »fünf Minuten. Es sei denn, du erzählst uns die Dinge, die wir wissen wollen. du weißt, worauf ich hinaus will, nicht wahr?« Benjamino nahm ihm die Pistole aus dem Mund und wischte den Lauf am Stoff des Sessels ab. »Bäh!« rief er aus. »Er hat sie mir ganz vollgesabbert.« Trotz seiner sechzig Jahre hatte Natale Sperandio noch immer die kräftige Statur der Pfleger, die in psychiatrischen Kliniken in der Abteilung für unruhige Patienten arbeiten. Das venetische Bauerngesicht war zu einer Grimasse des Entsetzens verzerrt, Schweiß lief ihm in kleinen Rinnsalen von den Schläfen bis zum Hals herab und durchnäßte seinen Hemdkragen.
»Guck mal, Marco, Natales Schweiß ist braun.«
»Das ist die Haartönung, die da runterläuft.«
»Natale, du mußt unbedingt den Friseur wechseln«, tadelte ihn Benjamino und schüttelte den Kopf. »Der, zu dem du gehst, schmiert dir nur mieses Zeug drauf. Meiner zum Beispiel verwendet nur Naturprodukte, die das Haar nicht angreifen,
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