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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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etwas auf die Schranktüren geschrieben.
    Japanische Schriftzeichen. Von oben nach unten.
    Passan war nicht in der Lage, sie zu lesen, begriff aber endlich, dass die ganze Geschichte nichts mit Guillard zu tun haben konnte. Und auch mit sonst niemandem, den er irgendwann einmal festgenommen hatte.
    Die grausamen Angriffe wendeten sich gegen Naoko.
    In Sekundenbruchteilen führte er sich die Situation vor Augen. Sandrine und Naoko werden von dem Gewalttäter überrascht. Sandrine überlebt den Angriff nicht, Naoko kann sich durch das Fenster retten. Ehe er flieht, schreibt der Mörder seinen blutigen Nachruf.
    Auf dem Boden lag ein mit Blut besudelter Kimono. Hatte der Täter damit seine Waffe abgewischt?
    Um in Sandrines Wohnung zu gelangen, hatte Passan die Treppe benutzen müssen, weil der Aufzug außer Betrieb war. Also war der Mörder entweder in die oberen Etagen geflohen, oder er befand sich noch in der Wohnung. Mit der Waffe in der Hand lief Passan durch alle Zimmer. Niemand. Als er ins Treppenhaus hinauskam, fand er sich einer wahren Menschenmauer gegenüber. Nachbarn lungerten auf den Fluren herum, andere liefen hinunter, um zu sehen, was passiert war.
    Passan steckte seine Waffe ein und beugte sich über das Geländer. Rufe und Geräusche waren zu hören. Er sah Hände auf dem Handlauf. Der Lichtschacht war zum Auge des Zyklons geworden.
    Er rannte die Treppe hinunter und schob Mieter beiseite, die von Etage zu Etage miteinander redeten. Suchend blickte er in Gesichter. Erst mit einiger Verspätung erinnerte er sich, was Naoko gesagt hatte: »Sie ist da oben.« Aber von wem hatte sie gesprochen? Von Sandrine? Vom Mörder?
    Unten waren inzwischen der Notarzt und ein Einsatzfahrzeug der Polizei eingetroffen. Naoko lag mit einer Halskrause unter einer Rettungsdecke. Passan wandte sich an die beiden Sanitäter, die Vorbereitungen trafen, sie auf eine bereitstehende Trage zu heben. Ein dritter Mann, vermutlich der Notarzt, untersuchte sie noch.
    »Hat sie viel abbekommen?«, fragte Passan.
    »Wer sind Sie?«, gab der Arzt zurück, ohne aufzublicken.
    »Der Ehemann.«
    Der Arzt antwortete nicht, sondern winkte nur den Sanitätern, die Naoko mit einer einzigen Bewegung auf eine Trage hoben.
    Passan packte den Arzt am Kragen und drehte ihn gewaltsam zu sich um.
    »Was ist los?«
    Der Notarzt zuckte mit keiner Wimper. Er hatte schon Schlimmeres erlebt.
    »Beruhigen Sie sich. Ihre Verletzung ist nicht gefährlich, aber sie hat ziemlich viel Blut verloren.«
    Passan schob ihn beiseite und folgte mit Blicken Naoko, die zum Krankenwagen getragen wurde. Mit ihrer Halskrause und der Rettungsdecke erinnerte sie ihn an Patrick Guillard nach der missglückten Verfolgungsjagd in Stains.
    »Wo wird sie hingebracht?«
    »Keine Ahnung.«
    »Wollen Sie mich verarschen?«
    »Wir müssen erst feststellen, wo ein Bett frei ist. Wenn Sie Näheres wissen wollen, rufen Sie in einer halben Stunde die Zentrale an.«
    Passan beließ es dabei. Es war ein ganz normaler Vorgang, den er schon tausendmal miterlebt hatte. Dass es sich bei dem Opfer zufällig um seine Frau handelte, änderte nichts daran. Er eilte zum Krankenwagen, um ihr noch ein paar Worte zu sagen, doch die Türen waren bereits verschlossen.
    Mit eingeschaltetem Blaulicht und jaulender Sirene startete das Gefährt. Der Anblick drückte Passan fast das Herz ab. Bloß jetzt nicht aus den Latschen kippen! Der Mörder oder die Mörderin musste noch irgendwo in der Nähe sein. Im Laufschritt kehrte er zurück zu den Polizisten, die sich bemühten, der Neugierigen Herr zu werden.
    »Niemand verlässt dieses Haus«, rief er und fuchtelte mit seiner Dienstmarke herum. »Der gesamte Wohnblock wird zum Sicherheitsgebiet erklärt.«
    Die Polizisten nickten, ohne zu ahnen, mit wem sie es zu tun hatten. Bei der Polizei grüßte man jeden, der irgendwie die drei Farben zeigte; jeder andere erntete nur Misstrauen.
    »Ihr kommt mit«, befahl er zwei jungen Männern, die unter ihrer Dienstmütze schwitzten. »Ich will niemanden mehr auf der Treppe sehen. Alle bleiben in ihrer Wohnung.«
    Er wandte sich an den Beamten mit dem höchsten Dienstgrad.
    »Sie kümmern sich um Verstärkung und informieren den Staatsanwalt und die Kripo.«
    Die jungen Beamten taten wie geheißen. Wer nicht im Haus wohnte, musste verschwinden, alle anderen wurden in ihre Wohnungen geschickt. Allmählich sah man wieder klarer. Türen schlugen. Die Treppenabsätze leerten sich. Passan sah auf allen Etagen nach dem

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