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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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und Hiroki kümmern. Ich möchte in deiner Nähe sterben. Ich will so werden wie du, ehe es mit mir zu Ende geht.«
    »Warum hast du Diego getötet? Warum hast du das Blut meiner Kinder genommen?«
    Erneut lachte Sandrine auf und ging einen Schritt vorwärts. Immer noch schwenkte Naoko die Schere. Sie war so nervös, dass sie sich beinahe selbst verletzt hätte.
    Mit einer Handbewegung riss sich Sandrine die Perücke herunter und enthüllte ihren kahlen Schädel.
    »Sieh mich doch an«, murmelte sie. »Die Verwandlung hat bereits begonnen.«
    »Was ist los mit dir?«
    »Krebs, meine Hübsche. Ich habe gerade meine letzte Chemo beendet. Es gibt keine Hoffnung mehr. Ein oder zwei Monate noch, dann ist es vorbei.«
    Sie gluckste. Mit wiegendem Kopf verfolgte sie ihre fixe Idee.
    »Wir werden die verbleibende Zeit gemeinsam verbringen. Ich möchte mich den Riten eines Landes widmen. Japan wird mich vor dem Tod schützen. Ich habe viel darüber gelesen. Die Kami, die Götter, sind dort. Sie erwarten mich. Sie …«
    »ACHTUNG!«, schrie Naoko entsetzt.
    Sandrine beendete den Satz nicht.
    Ein Schwert hatte ihre Taille mit einem Schlag durchtrennt.
    Als Naoko Sandrines Torso schwanken sah wie den einer Schaufensterpuppe, wurde ihr plötzlich alles klar.
    Aus Sandrines Mund und Nase quoll Blut. Der Oberkörper kippte gegen den Kleiderschrank. Aus dem durchtrennten Becken sprudelte Blut wie aus einem Geysir.
    Als das Schwert zum zweiten Mal durch die Luft pfiff, sprang Naoko durch das geschlossene Fenster.

66
    Passan schloss gerade seinen Wagen ab, als er Glas zersplittern hörte. Suchend blickte er sich um, begriff aber nicht sofort. Das, was er sah, konnte nur ein Traum sein. Eine Gestalt flog durch ein Fenster der zweiten Etage. Sie flog wirklich und bewegte Arme und Beine wie in Zeitlupe. Wie angewurzelt stand Passan mit dem Schlüssel in der Hand da und starrte auf das unglaubliche Schauspiel.
    Die Gestalt stürzte auf ein vor dem Haus geparktes Auto. Erst jetzt wich seine Lähmung, und Passan konnte reagieren. Es war das Haus, in dem Sandrine wohnte, und die Gestalt war Naoko. Er rannte los und erreichte das zerbeulte Auto in dem Augenblick, als Naoko abzurutschen drohte.
    Mit ausgestreckten Armen bremste er ihren Sturz und ließ sie vorsichtig zu Boden gleiten.
    »Naoko«, flüsterte er.
    Sie riss die Augen weit auf, als schrecke sie aus einem tiefen Schlaf hoch.
    »Sandrine«, kam es über ihre Lippen. Über ihr Gesicht zog sich eine rote Spur. Ihr Kleid war mit Blut befleckt. Passan schaute sofort nach, fand aber keine Verletzung.
    »Sie ist tot«, flüsterte Naoko mit kaum wahrnehmbarer Stimme.
    Als er ihren Rücken stützen und ihr aufhelfen wollte, spürte er eine klebrige Wärme. Er rollte sie auf die Seite und sah, dass der Stoff ihres Kleides durchtrennt war. Mit zitternden Fingern zerrte er den Schlitz auseinander. Von Naokos Wirbelsäule bis zu Hüfte zog sich eine hauchdünne, oberflächliche Schnittwunde.
    »Was ist geschehen?«, presste er hervor.
    »Schnell! Sie ist da oben!«
    Schon hatte er sein Handy in der Hand und wählte die Nummer des Rettungsdienstes. Das Rufzeichen schrillte. Niemand meldete sich. Er hob den Kopf. Auf dem Parkplatz hatte sich bereits eine neugierige Menge versammelt. Passanten, Anwohner. Alles Zeugen.
    »Zurück!«
    Endlich meldete sich die Zentrale. Hastig erläuterte Passan die Situation und nannte seinen Namen, seinen Dienstgrad und die Adresse. Dann klappte er das Telefon zu und stand auf.
    »Zurück, zum Donnerwetter!«
    Die Leute wichen erschrocken zurück. Erst in diesem Moment erkannte Passan, dass er aus einem Reflex heraus seine 45er gezogen hatte.
    »Polizei!«, donnerte er. »Ein Arzt ist auf dem Weg. Niemand rührt sie an!«
    Er stürmte ins Haus, durchquerte die Eingangshalle, las die Worte »Außer Betrieb« auf den Aufzugtüren und rannte zum Treppenhaus. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal. Seine Gliedmaßen gehorchten ihm nur zögernd. Die Schmerzmittel! Trübes Licht fiel durch den Lichtschacht der Treppe.
    Außengang. Offene Tür. Flur. Ein Zimmer, ein weiteres. Ganz hinten schließlich entdeckte er ein Szenario, das seine schlimmsten Albträume in den Schatten stellte. Sandrines in zwei Hälften zerteilter Körper. Büste und Unterleib lagen in entgegengesetzten Richtungen in einer grotesken Stellung. Passan konnte sich nicht erklären, warum Sandrine plötzlich kahlköpfig war. In der entferntesten Zimmerecke lag eine Perücke. Mit Blut hatte der Mörder

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