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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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ihrem Namen entbinden. Danach genügte es, das Kind in Tokio anzumelden und die Anmeldung bei der französischen Botschaft vorzulegen. Naoko würde mit ihrem beglaubigten japanischen Baby heimkehren.
    Ayumi hatte wirklich an alles gedacht. Sie setzte Naoko per Laparoskopie einen anatomisch geformten Beutel unter die Bauchdecke, den sie alle zwei bis drei Wochen mit einem physiologischen Serum füllen musste, um den Eindruck einer Schwangerschaft zu erwecken. Die Idee hatte Naoko zunächst befremdet, aber der Vorgang war recht einfach. Die Injektion ging durch den Bauchnabel vonstatten. Nach wenigen Wochen begann sich ihr Bauch zu runden. Ayumi hatte ihr auch Utrogestan besorgt, ein Progesteronpräparat, das dafür sorgte, dass ihre Brüste anschwollen und sie an Gewicht zunahm. Sie hatte ihr sogar den Urin einer schwangeren Frau zukommen lassen, damit sie einen positiven Schwangerschaftstest zustande brachte.
    Das letzte Hindernis war Passan selbst. Er musste dazu gebracht werden, in Frankreich zu bleiben, während seine Frau zur Entbindung nach Tokio reiste. Aber Naoko wusste, dass sie das schaffen konnte. Er würde ihre Entscheidung respektieren, so wie immer. Vermutlich würde er es fast normal finden, von diesem heiligen Moment ausgeschlossen zu werden. Eine japanische Sitte …
    Und so kam Shinji auf die Welt.
    Passan hatte die Kränkung verdaut, begann jedoch, einen unterschwelligen Groll gegen Naoko zu hegen. War der Verrat der Anfang vom Ende ihrer Ehe gewesen? Hinzu kamen die üblichen Ermüdungserscheinungen, eine zunehmende Gewöhnung und der ungestillte Hunger ihrer Körper.
    Als Naoko zwei Jahre später Hiroki »empfing«, hatte Passan aufbegehrt. Er wollte nicht noch einmal ausgeschlossen werden. Sie hatten sich angeschrien, geheult und einander bedroht. Aber schließlich gab Passan auch dieses Mal nach, und Naoko war nach Japan geflogen. Seine Nachgiebigkeit zerriss ihr fast das Herz. Passan liebte sie so sehr, dass er auch diese Zumutung akzeptierte.
    Als sie mit Hiroki nach Paris zurückkehrte, begriff sie, dass es mit Passan vorbei war. Ein Verrat zu viel. Der verlassene Junge, der Abgeschobene, der ihr das Wertvollste geschenkt hatte, was er besaß – nämlich sein Vertrauen –, hatte seinen früheren Lebenswandel wieder aufgenommen.
    Von diesem Tag an gab es zwischen ihm und ihr nur noch die Kinder.
    Sie hatte sich daraufhin immer mehr verschlossen. Und sie hatte den Kontakt zu Ayumi abgebrochen. Sie hatte ihre Schuld, ihr On, unter den Teppich gekehrt. Schließlich empfand sie sogar Hass auf ihre Komplizin, die es ihr ermöglicht hatte, Mutter zu werden. Insgeheim aber warf sie ihr vor, ihre Ehe zerstört zu haben.
    Als Ayumi ihr im Februar in einem Brief den Tod ihres Vaters mitteilte, hatte Naoko mit einigen nichtssagenden Beileidsbekundungen geantwortet und sich entschuldigt, dass sie nicht zur Beisetzung kommen könne. Ein fataler Fehler. Sie hatte nicht verstanden, dass der Brief ihrer Freundin ein Hilferuf war. Sie hatte auch ihre psychischen Probleme nicht gespürt. Ayumi bewegte sich am Rand des Wahnsinns. Und nachdem sie ihren Vater verloren hatte, wandte sie sich ihrer anderen Familie zu.
    »SIE GEHÖREN MIR.«
    Ayumi war zu einem blanken Schwert geworden. Inzwischen verstand Naoko ihren Zorn und ihre Entschlossenheit.
    Allerdings schien Ayumi nicht zu begreifen, dass Naoko die gleichen Gefühle hegte.
    Auch sie war eine blanke Klinge.

78
    Das Wetter ist mein Verbündeter.
    Passan fühlte sich eins mit der Apokalypse, die über der Stadt niederging. Eine Sintflut, die offenbar nie enden würde. Schmutzig graue Wolken jagten über den Himmel, kaum zu erahnen hinter dem Regen, der sich über Straßen, in Krägen und in die Seelen ergoss.
    Fifi fuhr mit Höchstgeschwindigkeit. Die Reflexe des Blaulichts zersplitterten wie Glas im strömenden Regen. Passan konnte nicht einmal erkennen, ob die Sirene eingeschaltet war, denn der Lärm des Gewitters übertönte alles. Als sie die Höhen des Mont-Valérien erreichten, sandte er ein Stoßgebet zum Himmel, die Wassermassen mögen alle Spuren der Schändung von der Villa abwaschen und seine und Naokos Sünden tilgen. Noch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben.
    Und zwar nicht nur, was die Lösung des Falls anging. Er hoffte auch für seine Kinder, sein Haus und vielleicht sogar seine Ehe …
    »Ich brauche höchstens fünf Minuten«, sagte er, als sie das Haus erreichten.
    Er sprang aus dem Wagen und wurde sofort in das Unwetter

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