Die Wahrheit des Blutes
eingesogen. Per Fernbedienung öffnete er das Tor und flitzte quer über den Rasen. Doch als er triefend vor der Haustür stand, machte er sich sogar die Mühe, seine Schuhe auszuziehen.
Sofort ging er ins Untergeschoss. Eigentlich hätte er seinen Koffer auch in seinem Appartement in Puteaux packen können, aber ihm war sein Heim lieber. Außerdem befanden sich sein Pass und eine Schuhschachtel mit persönlichen Aufzeichnungen noch in der Villa.
Er suchte die Jahre heraus, die ihn interessierten, und steckte die Papiere in seine Jackentasche. Anschließend stopfte er ein paar Kleidungstücke und einen Kulturbeutel in eine Sporttasche. Hier ging es nicht um Eleganz oder faltenlose Hemden.
Es roch nach feuchter Wäsche und nassem Asphalt. Ein Geruch, der ihm von seiner Polizeiarbeit mehr als vertraut war. Und er liebte ihn.
Als Passan ins Erdgeschoss hinaufstieg, fiel ihm das Echo im Haus auf. Die Regentropfen schienen überall gleichzeitig aufzutreffen. Flüssige Schatten waberten umher wie Gespenster aus Grundwasser. Noch nie war ihm sein Haus so sehr wie ein Heiligtum erschienen.
Er stand schon wieder an der Tür, als ihm noch etwas einfiel. Kurz entschlossen stellte er seine Tasche ab, rannte die Treppe hinauf, wobei er immer vier Stufen gleichzeitig nahm, ging in Naokos Zimmer und öffnete die Nachttischschublade.
Der Kaiken war nicht mehr da.
79
Fifi brauste mit eingeschalteter Sirene über die Standspur. Passans Flugzeug sollte um 20 Uhr starten. Im letzten Moment hatte er noch einen Platz bei der ANA ergattert.
In der Apotheke des Flughafens konnte er sich noch einmal mit Medikamenten eindecken. Danach hatte er während des zwölfstündigen Fluges Zeit, seine Wunden zu lecken und sich seine Aufzeichnungen noch einmal zu Gemüte zu führen.
Vor dem Terminal 1 am Flughafen Charles de Gaulle hatte er den Eindruck, als öffne sich ein großer Vorhang aus grauem Schlamm vor seinem Exodus. Passagiere drängten sich in den gigantischen Rundbau. Regenschirme verdrehten sich im Sturm. Caddies rollten durch aufspritzende Pfützen.
Passan legte sein Holster ab und reichte Fifi die Dienstwaffe. Sein Partner drückte ihm ein paar Seiten in die Hand, die er eben erst aus dem Internet ausgedruckt hatte.
»Hier ist die Dokumentation, um die du mich gebeten hast.«
Passan griff nach dem Bündel, rollte es zusammen und verstaute es in seiner Jackentasche. Anschließend gab Fifi ihm noch einen prall gefüllten Umschlag.
»Ein persönlicher Vorrat von Doktor Fifi.«
»Willst du, dass ich gleich beim Zoll wieder rausgefischt werde?«
»Wenn sie dich mit dem Gesicht durchlassen, kann dir nichts mehr passieren.«
Passan klopfte ihm grinsend die Schulter.
»Wir bleiben aber in Kontakt?«, meinte Fifi plötzlich ganz ernst.
»Natürlich.«
»Sollen wir Naokos Handy überwachen?«
»Das wird nicht nötig sein. Sie wird es nicht benutzen, weil sie dort mit einem japanischen Handy telefoniert.«
Naoko würde sich eher beide Hände abhacken lassen, als in Tokio mit ihrem französischen Handy zu telefonieren. Ihre praktische Veranlagung und ihr Überlebenswille verboten es ihr.
Passan öffnete die Wagentür.
»Bist du ganz sicher, dass du das Richtige tust?«, fragte Fifi.
»Du hast doch selbst gesagt, dass es so ist wie in dem Lied: ›Nur ich weiß, wann sie friert …‹«
Er griff nach seiner Tasche auf dem Rücksitz und verließ den Wagen, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Eine Stunde später hatte er seinen Platz in der Economyklasse des Direktfluges NH 206 nach Tokio eingenommen. Bequem wäre zu viel Lob für den Sitz gewesen, aber immerhin saß er am Fenster, und seine Verbrennungen gönnten ihm eine Verschnaufpause. Er hatte die Mütze tief ins Gesicht gezogen. In seiner derzeitigen Lage erwartete er gar nichts mehr.
Schon vor dem Start widmete er sich Fifis Papieren, einer kompletten Zusammenstellung aller wissenswerten Einzelheiten über Leihmutterschaft. Es ging um die einzelnen Etappen wie die In-Vitro-Fertilisation und das Einpflanzen des Embryos, die Länder, in denen Leihmutterschaft gestattet war, wie etwa die USA, Kanada und Indien, und was man bei der Suche nach einer Leihmutter beachten musste.
Passan war sich sicher, dass Naoko den Eingriff in den USA hatte durchführen lassen. Irgendwo an der Westküste, so nah wie möglich an Japan. Sie war schon immer von den Staaten fasziniert gewesen und sah sie als Eldorado für Einwanderer. Ihm selbst erschien diese Ansicht naiv, aber er verstand
Weitere Kostenlose Bücher