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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Allerletzten benachrichtigen. Er befand sich sozusagen in Quarantäne und wusste auch, warum. Solange er sich weiterhin im Umfeld von Guillard herumtrieb, würde man sehr vorsichtig agieren. Der Freispruch im Fall von O. J. Simpson erfolgte unter anderem auch aufgrund der Tatsache, dass einer der ermittelnden Detectives in einem Telefonat mehr als vierzigmal das Wort »Neger« verwendet hatte. Allein dieser Umstand hatte genügt, die schwerwiegenden Beweise gegen den Footballspieler in ein falsches Licht zu rücken. Wenn Levy also glaubwürdig bleiben wollte, musste er Passan auf Distanz halten.
    Die Akte Guillard erwies sich als ergiebiger. Gleich nach den ersten Zeilen fand sich Passan auf vertrautem Terrain wieder. Erzieher. Heimkinder. Pflegeeltern. Adoptiveltern. Ein Vokabular, das Passan mehr als geläufig war. Zwar hatte er noch nie wirkliches Mitgefühl für seinen Hauptverdächtigen empfunden, doch die Lektüre seiner Akte machte ihm unmissverständlich klar, dass sie beide aus dem gleichen Sumpf stammten.
    Schon auf der ersten Seite entdeckte Passan etwas Erstaunliches: Guillard war im Krankenhaus Sainte-Marie in Aubervilliers zur Welt gekommen. Üblich ist es, bei anonymen Entbindungen als Geburtsort die Gemeinde einzutragen, in deren Einzugsbereich das Krankenhaus liegt. In der Zivilstandsurkunde von Guillard jedoch stand Saint-Denis als Geburtsort. Hatte der Standesbeamte hier bewusst eine Fährte vertuscht, oder handelte es sich einfach nur um einen Irrtum?
    Jedenfalls musste Passan nun wieder bei null anfangen. Das Krankenhaus aufsuchen. Die Register durchforsten. Eine Mutter ohne Namen und ohne Gesicht zu identifizieren versuchen. Und dabei hoffen, dass sich niemand obendrein den Spaß gemacht hatte, auch noch das Geburtsdatum zu fälschen.
    Und noch eine Besonderheit fiel ihm auf. In aller Regel bekommt ein anonym zur Welt gebrachtes Kind drei Vornamen, wobei der dritte Name als Nachname gilt. Woher also stammte der Name Guillard? Hatte der Standesbeamte seiner Fantasie freien Lauf gelassen? Das würde er wohl nie erfahren.
    Laut Gesetz hat die Mutter sechzig Tage Zeit, ihren Entschluss zu widerrufen. Sie hat außerdem das Recht, einen Brief zu hinterlassen, den das Kind in einem einsichtsfähigen Alter im Beisein seines Vormunds lesen darf. Guillards Mutter hatte weder ihren Entschluss revidiert noch etwas hinterlassen. Nach Ablauf der Frist wird das Kind zur Adoption freigegeben, doch für Patrick hatte sich nie jemand interessiert. Wie in allen anderen Bereichen hüten sich auch adoptionswillige Paare vor »Ausschussware«.
    An dieser Stelle fand sich wieder eine Gemeinsamkeit. Auch Passan war nie adoptiert worden, allerdings aus einem anderen Grund: Er war keine Vollwaise. Seine Junkie-Mutter lebte noch irgendwo in weiter Ferne. Mal meditierte sie in einem Ashram in Sikkim, dann wieder lebte sie in einer Kommune in Auroville nördlich von Pondicherry. Irgendwann machte sie in Shangri-La an der tibetischen Grenze einen Entzug, später ging sie nach Kalkutta und wurde Schülerin eines hinduistischen Lehrmeisters, welcher der Göttin Kali Opfer brachte. Ungläubig las Passan ihre seltenen Briefe. Er stellte sich vor, dass sie in Blut und Blumen herumwatete, während neben ihr eine Ziege mit durchschnittener Kehle lag. Als sie sich den goldenen Schuss setzte, war Passan mit zwanzig Jahren zu alt, um noch in eine Familie aufgenommen zu werden.
    Wie Guillard hatte auch er seine Wochenenden in leeren Heimen und seine Ferien in Jugendlagern verbracht und war zwischen Richtern und Erziehern hin- und hergereicht worden. Er hatte den sinn- und ziellosen Hunger nach Liebe kennengelernt, der einem mit der Zeit das Herz austrocknete. Diese Sehnsucht nach Zärtlichkeit, die schließlich die Seele verhärtet.
    Der kleine Guillard war nirgendwo lange geblieben. Statt einer Erziehung ließ man ihm eine Reihe von Zwischenlösungen angedeihen. Zwar enthielt die Akte die Namen und Adressen der verschiedenen Erzieher, aber Passan wusste, dass niemand ihm Auskunft geben würde. Der einzige Trumpf war ein reiner Zufallstreffer. 1984 war Guillard in das Heim Jules-Guesde in Bagnolet übergesiedelt, in dem auch Passan mehrere Jahre gelebt hatte. Zunächst überlegte er, dort anzurufen, doch dann fand er es doch besser, persönlich hinzufahren.
    Ehe er losfuhr, versuchte er noch, telefonisch Kontakt zu einigen anderen Heimen aufzunehmen. Doch die Mühe war umsonst. Entweder geriet er an sehr junge Betreuer, die

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