Die Wahrheit des Blutes
sonderlich beliebt«, fuhr der Graue fort. »Ich bin dieser Tage einmal allein hingefahren, aber ich wurde sofort erkannt. Ein Kanake hat mich angesprochen. Er hat einen Sohn, der sich Tag für Tag auf dem Brachgelände herumtreibt, wo Passan dich geschnappt hat. Der Junge hatte ein Paar Handschuhe gefunden, und nun wollte er wissen, ob mich das interessiert und ob ich bereit wäre, dafür zu löhnen.«
Levy zündete sich eine neue Zigarette mit der alten an und warf die Kippe auf den Boden, ohne sie zu löschen. Er inhalierte langsam und genüsslich.
»Ja, und?«
»Na ja, ich habe bezahlt, habe die Handschuhe einsiegeln und in zwei unterschiedlichen Labors untersuchen lassen, und zwar in Bordeaux und in Straßburg. In einem Labor die Außenseite, im anderen die Innenseite. Die Resultate kamen heute Morgen. Wenn wir die zusammenbringen, wanderst du in den Knast, mein Kleiner!«
»Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»500000 Euro bar auf die Kralle. Morgen. Die Zeit darfst du dir aussuchen.«
»So viel Geld habe ich nicht.«
»In meinem Auto liegen deine Gewinn- und Verlustrechnungen der letzten fünf Jahre, deine Kontoauszüge und die Übersichten über deine Geldanlagen und deine Lebensversicherungen.«
Guillard lachte nervös auf. Sein Gesicht glühte wie ein Backstein. Er zog das Ziertuch aus der Brusttasche und wischte sich über die Stirn. Er hasste diese Geste. So etwas taten nur Fettwänste. Und Schwächlinge.
»Du lachst?«, höhnte Levy. »Nun, das wird dir schon noch vergehen. Wenn ich die beiden Handschuhe in ein drittes Labor schicke, bist du fällig.«
Guillard fühlte sich plötzlich besser. Zwar hatte er einen Kampf verloren, aber sein Gegner hatte eine Achillesferse: das Geld.
»Wie kann ich Kontakt zu Ihnen aufnehmen?«
Levy reichte ihm ein Handy.
»Du benutzt das hier. Es ist nur eine Nummer eingespeichert, nämlich die eines anderen Telefons, das ich lediglich zu diesem Zweck benutze. Sobald du die Kohle zusammenhast, rufst du mich an.«
»Bringen Sie dann die Handschuhe mit?«
»Ich will noch heute Abend von dir hören. Spätestens morgen früh.«
Levy drückte seine letzte Zigarette auf der funkelnden Karosserie einer S-Klasse aus und drehte sich um.
Dieser Bulle war ein Geschenk des Himmels. Dass Guillard die Handschuhe verloren hatte, war der erste Fehler, den er seit dem Beginn seiner Wiedergeburten begangen hatte. In Passans Händen hätte das Beweisstück fatale Folgen für ihn haben können.
Die beiden Beschatter kehrten auf den Parkplatz zurück. Levy wechselte einige Worte mit ihnen, ehe er in sein Auto stieg und davonfuhr. Die Aufpasser warfen einen misstrauischen Blick in Richtung der Niederlassung und nahmen ihre Plätze wieder ein.
Guillard betätigte die Fernbedienung. Langsam senkten sich die Eisengitter und tauchten ihn in Dunkelheit.
Ein Satz von Arthur Rimbaud fiel ihm ein: »Das wahre Leben ist anderswo. Wir sind nicht auf der Welt …«
34
Er konnte einfach nicht widerstehen.
Während er im Feierabendverkehr feststeckte, hatte Passan einen Anruf von Stéphane Rudel bekommen. Der Gerichtsmediziner hatte ihm mitgeteilt, dass der von ihm beauftragte Veterinärmediziner – ein Spezialist für Cebus apella oder Gehaubte Kapuziner, also genau die Spezies, die sie interessierte – die Obduktion des Affen beendet hatte.
Er konnte einfach nicht widerstehen.
Philippe Vandernoot hatte seine Praxis in Levallois-Perret. Passan war gerade an der Porte de Clichy vorbeigefahren. Sofort programmierte er sein Navi auf die Adresse der Praxis um und machte sich auf den Weg in die Rue Paul Vaillant Couturier. Laut Software würde er für diese Strecke zwanzig Minuten brauchen. Wenn er die Sirene einsetzte, konnte er die Zeit um die Hälfte verringern. Passan bog an der Porte de Champerret ab und drückte das Gaspedal durch.
Er nutzte Busspuren, fuhr in verkehrter Richtung durch Einbahnstraßen und über Bürgersteige. So schaffte er es in weniger als acht Minuten zu seinem Ziel. Unterwegs war es ihm gelungen, Gaia zu erreichen und ihr mitzuteilen, dass er »ein wenig« später käme. Auch die beiden Polizisten, die sein Haus bewachen sollten, hatte er angerufen. Jaffré und Lestrade waren bereits auf ihrem Posten. Es gab keinerlei Auffälligkeiten, die Rue Cluseret war absolut friedlich.
Naoko hatte ihm eine SMS geschickt. Sie wollte wissen, ob er tatsächlich zu Hause war. Mist. Passan schaltete das Handy aus und steckte es in die Tasche.
Die Tierarztpraxis kam
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