Die Wahrheit des Blutes
Versicherungen. Orte und Daten kennst du – der Rest ist keine Hexerei.«
»Von wegen. Außerdem soll ich um Mitternacht bei dir übernehmen.«
»Vergiss es. Mazoyer und ich schaffen das schon.«
Passan hatte jetzt ein klares Bild vor Augen: ein Jugendlicher, der seine Schule oder sein Wohnhaus anzündete, weil er selbst in einer nicht klar definierten Haut gefangen war und darin brannte.
»Bei dir alles okay?«, fragte Fifi.
»Alles in Ordnung.«
»Dann versuch wenigstens ein paar Stunden zu schlafen.«
Passan bedankte sich bei Fifi und beendete das Gespräch. Dabei fiel ihm auf, dass er ziemlich unangenehm roch. Schweiß und Angst. Und der Affe. Die nächtlichen Düfte seines Gartens konnten nicht dagegenhalten.
37
Er hätte wie üblich im Untergeschoss duschen können, zog es aber vor, in der Nähe der Kinder zu bleiben, und benutzte Naokos Bad in der ersten Etage.
Nachdem er Diego vor dem Kinderzimmer abgelegt hatte, wagte er sich ins Zimmer seiner Ehefrau. Fünf Jahre lang hatten sie dieses Zimmer geteilt, aber später war es zu Naokos Reich geworden. Seither wirkte es deutlich japanischer als früher, obwohl sie weder Grafiken an die Wand noch Kimonos in den Schrank gehängt hatte. Sie doch nicht.
Es war viel subtiler.
Rote Bettdecke. Dunkelgoldene Kissen. Orangefarbener Teppich. Naoko liebte Farben und empfand den Pariser Dresscode – Man trägt Schwarz! – als Affront gegen das Leben, als finstere Unterdrückung, die sich negativ auf Menschen und ihre gute Laune auswirkte. Die lebhaften Farben ihres Zimmers bildeten eine geheimnisvolle Verbindung zum Fernen Osten. Auch die Ordnung und die Zurückhaltung erinnerten an Japan. Eine undefinierbare Harmonie, in der kein Quadratmillimeter vernachlässigt oder gar vergessen wurde. Eine Art höflicher Respekt gegenüber dem Raum und den Dingen.
Passan setzte sich auf den Futon und öffnete ohne darüber nachzudenken die Nachttischschublade. Dort lag der Kaiken in seinem Futteral aus schwarzem Jackfruchtbaumholz. Es wunderte ihn nicht, dass Naoko den Dolch dagelassen hatte, denn sie hatte dieses Geschenk nie gemocht. Für sie war der Kaiken ein Symbol für die Gewalt und den Fanatismus des alten Japan.
Erstaunlicher fand er es, dass sie ihre »Schlafschachtel« nicht mitgenommen hatte, in der sie alle Utensilien für einen guten Schlaf aufbewahrte – eine Augenmaske, wie man sie im Flugzeug bekam, Oropax, einen Feuchtigkeitsmesser (bei weniger als 40 Prozent Luftfeuchtigkeit konnte sie nicht schlafen), einen Kompass (das Bett musste immer nach Osten ausgerichtet sein) und Augentropfen.
Die Schachtel und ihr Inhalt waren kennzeichnend für einen der markantesten Charakterzüge Naokos: ihr beständiges Streben nach Wohlbefinden. Naoko bemühte sich mit fast wissenschaftlicher Akribie, gut zu schlafen, gut zu essen oder gut zu atmen. Niemals trennte sie sich von ihrem Luftbefeuchter, weil die Pariser Luft angeblich zu trocken war. Sie aß die merkwürdigsten Dinge wie Algen, Körner und geleeartige Produkte, die ihr Verdauungssystem im Gleichgewicht halten sollten. Sie hatte sich sogar eine Uhr gekauft, die ihren Kreislauf aufzeichnete und sie weckte, wenn ihr täglicher Biorhythmus in der ruhigsten Phase war. Das alles hatte weder mit Egoismus und erst recht nichts mit Bequemlichkeit zu tun, sondern es ging darum, im Einklang mit der Welt zu leben. Auf eine recht paradoxe Weise lauschte Naoko voller Bescheidenheit in sich selbst hinein, um die Gesetze der Natur zu respektieren. Sie wollte auf möglichst diskrete Art mit dem Universum verschmelzen.
Passan checkte sein Handy. Keine SMS. Dieser einsame Abend taugte nichts. Er stand auf und ging ins Bad. Naokos Tempel. Der Raum war aufgeteilt in einen gekachelten Bereich mit Waschbecken und einer moderne Dusche, während sich im hinteren, ganz mit Holz getäfelten Bereich ein Zuber mit hohen Wänden und eine weitere Dusche befand, die man auf einem Schemel aus Zedernholz sitzend benutzte.
Passan betrachtete die Bürsten, die auf einem Regal aufgereiht lagen. Kitagawa Utamaro, der größte Maler des 17. Jahrhunderts, betonte die Schwärze der Haare, indem er sie mit einer zweiten Schicht Tusche übermalte. Naokos Haar war seiner Zeichnungen durchaus würdig. Ihr Haar war von einem so tiefen Schwarz, dass man hätte glauben können, die Natur habe mit ihrem Pinsel zweimal darübergestrichen.
Auch ihre Pflegeprodukte und Cremes hatte sie dagelassen. Sie standen ordentlich aufgereiht im Bad. Passan
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