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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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fuhr mit den Fingern sanft ihre Konturen nach. Um ihre Freundinnen neidisch zu machen, behauptete Passan immer, Naoko sei zu hundert Prozent natürlich. Tatsächlich hatte er nie jemanden erlebt, der so viele Cremes, Lotionen, Serums und Gels benutzte. Es grenzte fast an einen Kult.
    Ihn selbst faszinierte das. Für ihn war Naoko der Gipfel der Kultiviertheit. Eine Art selbst entworfenes Kunstwerk. Oft musste er an den Beginn des Films Utamaro und seine fünf Frauen von Kenji Mizoguchi denken, eine Biografie des Malers. Weiß geschminkte, in schwere Kimonos gekleidete Frauen mit hochgetürmten Frisuren schreiten feierlich unter Sonnenschirmen aus geöltem Papier, die von Sklaven gehalten werden. Ein Schauspiel von bestürzender Schönheit.
    Aber das war noch nicht alles.
    In regelmäßigen Abständen führten sie seltsame Tanzschritte durch. Mit ihrem rechten Fuß zeichneten sie langsam einen Kreisbogen auf den Boden, beugten dabei das linke Bein und ließen ihre fast zwanzig Zentimeter hohen Getas aus Holz sehen. Anschließend hielten sie einen Moment inne, ehe sie einen weiteren Kreis zogen. Weibliche Zirkel, die geheimnisvolle Kurven zeichneten – geradezu feenhaft.
    Überwältigt hatte Passan Naoko die Bilder vorgeführt, um von ihr zu erfahren, wer diese himmlischen Prinzessinnen waren und um welche Tradition es hier ging.
    »Das sind Nutten«, hatte Naoko etwas zerstreut geantwortet. »Oiran aus dem Yoshiwara-Viertel.«
    Passan hatte das schweigend hingenommen, dachte aber später: In einem Land, wo die Kurtisanen vornehmer sind als jede westliche Prinzessin, wo man das weibliche Genital mit »da unten« bezeichnet und von einem bisexuellen Menschen sagt, er habe »zwei Schwerter« – in einem solchen Land lässt es sich bestimmt gut lieben.
    Er zog sich aus, legte seine Waffe auf den Waschbeckenrand und trat unter die Dusche. Genüsslich schloss er die Augen. Für einen kurzen Augenblick fühlte er sich richtig wohl. Er sang sogar mit leiser Stimme vor sich hin. Doch das prasselnde Wasser isolierte ihn vom Rest des Hauses, und das gefiel ihm nicht. Er seifte sich ein und beschloss, sich zu beeilen. Anschließend würde er sich auf einer Matratze vor dem Kinderzimmer ausstrecken.
    Diego würde sich sicher gern neben ihn legen.
    Zwei Wachhunde, die den Schlaf der Kinder hüteten.
    Plötzlich öffnete er die Augen. Der Wasserdampf war rötlich. Überall auf seiner Brust fanden sich rote Spritzer. Zu seinen Füßen blubberte eine bräunliche Brühe. Er hob den Kopf und stellte fest, dass lange Blutspuren über die Wandfliesen liefen.
    Er musste sich verletzt haben. Lieber Himmel! Überall war Blut. Immer noch unter dem Duschstrahl tastete er sich ab, musterte seinen Körper und fasste sich zwischen die Beine. Nichts. Und doch war es wirklich Blut, das über die Wände lief und ekelerregend in der Duschwanne schäumte.
    Er drehte das Wasser ab, rempelte an die Duschabtrennung und stieg schließlich zitternd aus dem Becken. Seine Brust, sein Schambein und seine Schenkel waren rot. Um sich aufzurichten, musste er sich am Waschbecken festhalten.
    Er griff nach seiner Waffe, lud und entsicherte sie mit einer Bewegung.
    Die Kinder!
    Mit der Waffe in der Hand rannte er auf den Flur. Vorsichtig öffnete er die Tür. Diego rückte widerwillig ein Stück zur Seite. Er begriff nicht, was los war.
    Die Kinder schliefen friedlich in ihren Betten.
    Triefend kehrte Passan ins Bad zurück und sicherte die Waffe wieder. Entsetzt musterte er sich im Spiegel. Im rosigen Dunst sah er aus wie eine Rinderhälfte, die an einem Haken hängt.
    Er suchte nach seinem Handy, drückte eine Kurzwahltaste und ließ sich an der Wand entlang auf den Boden gleiten. Das Blut auf seinem Körper gerann bereits, und seine Haut spannte unangenehm.
    »Hallo?«
    »Fifi? Ich bin es«, meldete Passan sich leise. »Du musst kommen. Sofort.«
    »Aber du hast doch gesagt …«
    »Ruf auch die Spurensicherung. Die Zacchary höchstpersönlich mit ihrem gesamten Team.«
    »Was zum Teufel ist denn bei dir los?«
    »Alle in Zivilfahrzeugen. Keine Uniformen, kein Blaulicht. Und schon gar keine Sirene. Kapiert?«
    Er legte auf und lehnte sich gegen die Mauer. Dabei fiel ihm auf, dass er sich die ganze Zeit vor- und rückwärts bewegte wie ein Moslem beim Rezitieren der Suren. Entsetzen brandete immer wieder in ihm auf.
    Er warf einen furchtsamen Blick auf die Duschkabine.
    Sie sah aus wie eine klaffende Wunde.

38
    »Der Trick ist ganz einfach.«
    »Pst, nicht

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