Die Wahrheit des Blutes
Wache schoben.
»’n Abend, Mädels. Alles paletti?«
»Tote Hose.«
Jaffré war schwarz und trug sein Haar in Zöpfchen, die am Schädel zu kleben schienen. Seine Bundfaltenhose aus Jeansstoff mit orangefarbenen Nähten schien geradewegs aus der Heißmangel zu kommen. Lestrades Haut war übersät mit Piercings und Tatoos. Seine ausgefranste Jeans war über den Knien abgeschnitten, und sein T-Shirt zeigte ein Bild von MC5, einer Gruppe, die in den 1960er-Jahren ziemlich ruppigen Rock spielte.
»Eine Runde alle zwanzig Minuten, okay?«
»Aye, aye, Sir.«
»Überprüft die Kennzeichen aller Autos«, fuhr Passan fort. »Schaut in die Strafregister. Wo habt ihr eure schusssicheren Westen?«
»Wäre das nicht ein bisschen zu viel des Guten?«
»Dieser Eindringling ist sicher nicht gerade ein Chorknabe.«
Die beiden Kollegen nickten ohne Überzeugung.
»Um Mitternacht werdet ihr von Fifi und Mazoyer abgelöst und dürft vögeln gehen.«
Er nickte ihnen zu und ging wieder ins Haus. Sein Handy meldete sich. Eine Sekunde lang hoffte er auf einen Anruf von Naoko.
»Ich habe Guillards Eltern aufgetrieben«, verkündete Fifi.
»Und wo?«
»Auf dem Friedhof. Beide sind bei lebendigem Leib verbrannt.«
»Weiter.«
»Die Mutter hieß Marie-Claude Ferrari.«
Ferrari. Wie der berühmte Autokonstrukteur, dessen Silben sich in allen Autohäusern Guillards wiederholten. Angeblich eingedenk seines Jugendtraums, eines Tages einmal für die rote Marke zu arbeiten. Doch er hatte gelogen. Die Namen bezogen sich mit Sicherheit auf seine Mutter. Als Provokation. Als könne er so seiner unwürdigen Mutter ins Gesicht spucken.
»Sie hatte einen Frisiersalon in Livry-Gargan. Es war nicht einmal schwierig, sie zu finden, weil sich die Hebamme der Klinik daran erinnerte, dass …«
»Wie genau ist sie gestorben?«
»Im Juli 2001 ist sie unter ungeklärten Umständen in ihrem Wohnzimmer verbrannt.«
Schon wieder das Jahr von Guillards Rückkehr. Nachdem er seine Geburtsklinik zerstört hatte, war es der eigenen Mutter an den Kragen gegangen. Guillard, der Pyromane. Guillard, der Muttermörder.
»Hast du das Datum?«
»Am 17. Juli. Guillards Geburtstag. Er muss es gewesen sein, da bin ich ganz sicher. Zwar haben die Ermittlungen keinen Anhaltspunkt gegeben, klar ist aber, dass der Brand absichtlich gelegt wurde.«
»War ihr Ehemann bei ihr?«
»Du hast ja keine Ahnung. Guillards biologischer Vater heißt Marc Campanez und hat Marie-Claude seit mehr als vierzig Jahren nicht gesehen. Er ist tausend Kilometer weiter weg und zwei Monate später gestorben.«
»Wie hast du ihn gefunden?«
»Über die Hebamme. Sie erinnerte sich an Marie-Claude, die ständig herumheulte, weil Campanez sie wegen des missgebildeten Kindes verlassen hatte.«
Guillards Zorn. Passan konnte ihm folgen wie einer Fackel in der Dunkelheit. Er selbst hatte auch seiner Vergangenheit nachforschen müssen. Er hatte ähnliche Umstände entdeckt und erfahren, dass seine Eltern ihn nicht haben wollten.
»Haben wir die Hebamme schon verhört?«
»Sie hat nichts darüber gesagt.«
»Und wie ist Campanez gestorben?«
»Nach seiner Pensionierung hat er sich im Hinterland von Sète niedergelassen. Seine Leiche wurde in einem Pinienwald gefunden – in seinem ausgebrannten Auto. Klar ist, dass es Mord war, denn die Autositze waren mit Benzin getränkt. Dem Obduktionsbericht zufolge wurde er erstickt. Die Polizei hatte mehrere Spuren, aber alle sind im Sand verlaufen.«
»Wieso mehrere Spuren?«
»Weil Campanez einmal selbst Bulle im 9–3 war. Der Gedanke an einen Racheakt lag nah. Aber mangels Ergebnis wurde die Akte irgendwann geschlossen.«
Guillard. Kind eines Polizisten. Niemandes Kind. Passan konnte die Hitze der Brandherde und das Knattern der Feuergarben fast körperlich spüren. Er sah, wie der alte Mann unter den Pinien am Mittelmeer verbrannte und wie die Leiche der Mutter sich krümmte, während Kunsthaar und Haarspray in Flammen aufgingen.
»Sonst noch was?«
»Ich bin erst seit zwei Stunden dran!«
»Kümmere dich weiter um die Eltern. Ich brauche so viele Informationen wie möglich über sie. Ich will Fotos sehen und wissen, woher sie stammen. Bist du bei der anderen Sache auch weitergekommen?«
»Welcher anderen Sache?«
»Brandstiftung in den Gegenden, wo Guillard gewohnt hat.«
»Dazu hatte ich noch keine Zeit.«
»Dann machst du es eben jetzt.«
»Es ist zehn Uhr abends!«
»Ruf die Feuerwehr an. Die örtliche Polizei. Die
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