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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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sank auf dem Badewannenrand zusammen, streifte dabei mit den Knien am Händehandtuch vorbei, das von der Handleiste rutschte und zu Boden glitt. »Du denkst wirklich, dass sie es weiß?«
    »Ja. Na, bitte schön, Mummys Goldjunge kommt sogar mit einem Mord davon.«
    John-Paul schlug kurz die Augen nieder, und Cecilia war kurz davor, sich für ihre Worte zu entschuldigen, bis ihr wieder einfiel, dass es sich hier nicht um ein alltägliches Gezänk darüber handelte, wer die Spülmaschine ausräumen sollte. Die Regeln hatten sich geändert. Sie konnte so garstig und unausstehlich sein, wie sie wollte.
    Cecilia nahm ihre Zahnbürste wieder in die Hand und begann, ihre Zähne mit harten, mechanischen Bewegungen zu putzen. Vergangene Woche erst hatte ihr Zahnarzt ihr gesagt, dass sie beim Putzen viel zu fest aufdrücke und damit den Zahnschmelz wegschrubbe. »Halten Sie die Zahnbürste mit ihren Fingerspitzen, wie den Bogen einer Violine«, hatte er erklärt und es ihr vorgemacht. Ob sie sich eine elektrische Zahnbürste zulegen solle, hatte sie ihn gefragt. Er sei kein großer Freund dieser Geräte, hatte er geantwortet, das sei etwas für alte, arthritische Patienten. »Aber sie hinterlassen ein wunderbar glattes, sauberes Zahngefühl«, hatte Cecilia erwidert. Oh ja, das waren die Themen, die vergangene Woche noch so wichtig für sie gewesen waren.
    Sie spülte ihren Mund, spuckte aus, stellte die Zahnbürste zurück an ihren Platz, hob das Handtuch auf und hängte es wieder ordentlich über die Handleiste.
    Dann warf sie einen kurzen Blick auf John-Paul. Er zuckte zusammen.
    »So, wie du mich jetzt ansiehst …«, sagte er. »Das ist …« Er stockte und holte tief und zittrig Luft.
    »Was erwartest du?«, fragte Cecilia erstaunt.
    »Es tut mir so leid. Es tut mir so unendlich leid, dass ich dir das alles auflade. Ich bin so ein Idiot, dass ich diesen Brief geschrieben hatte. Aber ich bin ich, immer noch, Cecilia. Das verspreche ich dir. Ich bin kein böses Monster, bitte, Cecilia, denk das nicht von mir! Ich war siebzehn. Und ich habe einen grausamen, einen schrecklich grausamen Fehler begangen.«
    »Für den du nie bezahlt hast.«
    »Ich weiß.« Er suchte ihren Blick. »Ich weiß das.«
    Einen Moment lang herrschte Schweigen.
    »Scheiße!« Cecilia schlug sich die Hand an den Kopf. »Scheiße, verdammte!«
    »Was ist?« John-Paul fuhr zusammen. Sie fluchte nie. Die ganzen Jahre hatte sie eine Tupperdose fein säuberlich irgendwo in ihrem Kopf verstaut und darin jede Menge ordinäre Wörter gesammelt; jetzt hatte sie die Dose geöffnet, und all die unverbrauchten Wörter purzelten mit einem Mal heraus – frisch, knackig und gebrauchsfertig.
    »Ostermützen!«, rief sie. »Polly und Esther brauchen bis morgen früh diese verdammten, beschissenen Ostermützen.«

35
    17. April, 1984
    Janie hätte es sich um ein Haar anders überlegt, als sie aus dem Zugfenster schaute und John-Paul erblickte, der am Bahnsteig auf sie wartete. Er saß da, die langen Beine ausgestreckt, und las ein Buch. Als der Zug einfuhr, stand er auf, schob das Buch in seine Gesäßtasche und strich sich mit einer raschen, fast verstohlenen Handbewegung die Haare glatt. Er sah umwerfend aus.
    Sie erhob sich von ihrem Sitz, griff nach der Haltestange, um das Gleichgewicht zu halten, und hängte sich ihre Tasche über die Schulter.
    Komisch – für einen Jungen wie John-Paul wirkte die Handbewegung, mit der er gerade sein Haar glatt gestrichen hatte, fast unsicher.
    »Nächster Halt – Asquith. Weiterfahrt über alle Haltestellen bis Berowra.«
    Unter lautem Rattern kam der Zug zum Halten.
    Es war so weit. Sie würde ihm gleich sagen, dass sie ihn nicht mehr treffen könne. Sie hätte ihn auch einfach versetzen können, ihn vergeblich auf sie warten lassen können, doch dafür war sie nicht der Typ. Sie hätte ihn anrufen können, aber das erschien ihr auch nicht richtig. Doch sie telefonierten ohnehin nie miteinander, denn beide hatten Mütter, die lange Ohren machten, wenn sie mit jemandem am Telefon sprachen.
    E-Mails oder SMS hätten die Sache einfacher gemacht, aber Internet oder Handys waren damals noch Zukunftsmusik.
    Schluss zu machen ist immer unschön, dachte sie sich. Möglicherweise würde sie ihn in seinem Stolz verletzen, oder er könnte gemein werden und so etwas sagen wie: »Ich war sowieso nie richtig verknallt in dich.« Aber erst jetzt, da sie gesehen hatte, wie er seine Haare glatt strich, war ihr in den Sinn gekommen,

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