Die Wahrheit eines Augenblicks
sie dem munteren Treiben der süßen Kleinen gern bei.
Cecilia hielt Ausschau nach Isabel auf dem Balkon vor dem Pavillon der sechsten Klassen und entdeckte sie zwischen ihren beiden besten Freundinnen Marie und Laura. Die drei Mädchen hielten sich umschlungen, um aller Welt zu zeigen, dass das Band ihrer ungewöhnlichen Dreier-Freundschaft ganz dick war, dass sich niemals zwei gegen eine verbünden würden, dass ihre Freundschaft rein und stark war. Zum Glück standen vier schulfreie Tage bevor, und Cecilia war froh darüber. Denn sie wusste nur zu gut, dass dieser schwesterlichen Eintracht immer Tränen und Vertrauensbrüche folgten.
Eine der Mütter reichte diskret einen Korb mit Belgischen Schokoladenkugeln herum, und ein lustvoll-sinnliches Stöhnen ging durch die Reihen.
Ich bin die Frau eines Mörders , dachte Cecilia, während die Schokolade süß in ihrem Mund schmolz. Ich bin die Komplizin eines Mörders , dachte sie, während sie sich mit den anderen Müttern zu Spielnachmittagen oder Tupper-Partys verabredete, während sie plante, organisierte und alles Mögliche ausmachte. Ich bin Cecilia Fitzpatrick, und mein Mann ist ein Mörder. Seht mich an, wie ich mit meinen Kindern spreche, plaudere, lache, sie umarme und kose! Ihr werdet nie davon erfahren!
Ja, so könnte es funktionieren. So könnte man mit einem schrecklichen Geheimnis weiterleben. Ja, so könnte es klappen. Man tut so, als wäre alles in bester Ordnung. Man ignoriert den tief sitzenden, krampfartigen Schmerz im Bauch. Man betäubt sich irgendwie selbst, sodass nichts sich wirklich schlecht anfühlt, aber auch nichts wirklich gut.
Gestern hatte sie sich im Rinnstein übergeben müssen und sich in ihrer Vorratskammer die Augen ausgeweint. Doch heute Morgen war sie in aller Herrgottsfrühe aufgestanden, hatte zwei Lasagnen gebacken und sie für Ostersonntag eingefroren, einen Korb Wäsche weggebügelt, drei Anfragen für Pollys Tennisunterricht per E-Mail verschickt, vierzehn Mails zu verschiedenen Schulangelegenheiten beantwortet, ihre Tupperware-Bestellung vom Abend zuvor eingetragen, jede Menge Wäsche auf die Leine gehängt – und das alles, bevor die Mädchen und John-Paul aufgestanden waren. Sie war zurück in der Spur, wirbelte virtuos wie auf Schlittschuhen über das eisglatte Parkett ihres aus den Fugen geratenen Lebens.
»Ich krieg zu viel! Was hat die denn an?«, entrüstete sich jemand, als die Schulleiterin auf dem Schulhof erschien. Trudy war als Hase verkleidet, mit langen Schlappohren und einem flauschigen Schwanz. Sie sah aus wie eine Playboy -Bunny-Mutti.
Die Hände wie Pfoten vor der Brust, hoppelte Trudy ans Mikrofon in der Mitte des Schulhofes. Die Mütter brachen in helles Gelächter aus, und die Schüler auf den Balkonen johlten.
»Meine sehr verehrten Schokobonbonhasen, liebe Mädchen und Jungen!« Da rutschte ihr eines der Schlappohren ins Gesicht, und sie schob es beiseite. »Willkommen zur Ostermützen-Parade an unserer Schule!«
»Ich finde sie göttlich«, sagte Mahalia, die rechts neben Cecilia saß. »Aber kaum zu glauben, dass sie eine Schule leitet.«
»Trudy leitet die Schule nicht«, entgegnete Angela Murphy von der anderen Seite. »Rachel Crowley leitet sie. Zusammen mit der netten Dame zu deiner Linken.«
Angela neigte sich zu Mahalia und wedelte mit dem Finger in Richtung Cecilia.
»Nein, nein, nein. Du weißt, dass das nicht wahr ist.« Cecilia lächelte verlegen. Sie kam sich vor wie eine verrückte Parodie auf sich selbst. Alles, was sie tat, erschien ihr übertrieben und kasperhaft. Doch das schien niemand zu bemerken.
Die Musik begann, wummerte aus den Lautsprechern der topmodernen Beschallungsanlage, die Cecilia mit den Einnahmen ihrer höchst erfolgreichen Tombola im vergangenen Jahr bezahlt hatte.
Um sie herum plätscherten die Gespräche dahin.
»Wer hat denn die Titelfolge ausgesucht? Ist super.«
»Ich weiß. Man würde am liebsten dazu tanzen.«
»Ja, aber hör doch mal auf den Text! Weißt du, worum es in diesem Lied geht?«
»Besser nicht.«
»Meine Kinder kennen die Lieder in- und auswendig.«
Die Parade begann, und die Vorschulklasse erschien, angeführt von ihrer durchaus hübschen, vollbusigen Lehrerin Miss Parker, die ihre natürlichen Vorzüge bestmöglich zur Geltung brachte, indem sie sich als Märchenprinzessin verkleidet hatte und sich in einem Kleid präsentierte, das zwei Nummern zu eng war, und zur Musik tanzte in einer Weise, die sich für eine
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