Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
Vom Netzwerk:
dass sie ihn wirklich verletzen könnte. Ihr wurde ganz schlecht bei diesem Gedanken.
    Sie stieg aus. John-Paul hob eine Hand und lächelte ihr zu. Janie winkte zurück. Doch als sie über den Bahnsteig auf ihn zuging, wurde ihr schlagartig klar, dass sie Connor nicht etwa lieber mochte als John-Paul. Nein, es war vielmehr so, dass sie für John-Paul-Paul weit mehr empfand, und diese Erkenntnis traf sie wie ein klitzekleiner, bittersüßer Schock. Es war anstrengend, mit einem so gut aussehenden, intelligenten, humorvollen und netten Jungen zusammen zu sein. Sie war geblendet von John-Paul. Und Connor war geblendet von ihr – was ihr weitaus mehr Spaß machte. Es war das ewige Spiel der Frau.
    Aber was war John-Pauls Interesse an ihr? Eine Masche? Ein Scherz? Denn es dürfte ihm doch klar sein, dass sie nicht in seiner Liga spielte. Sie wartete förmlich darauf, dass irgendwelche Mädchen schnatternd angelaufen kamen und sie lachend verhöhnten: »Du kannst doch nicht im Ernst geglaubt haben, dass er sich für dich interessiert?!« Genau darum hatte sie keiner ihrer Freundinnen von ihm erzählt. Sie wussten von Connor, das ja, doch nicht von John-Paul Fitzpatrick. Sie würden ihr nicht glauben, dass ein Fitzpatrick ausgerechnet hinter ihr her war – sie glaubte es ja nicht einmal selbst.
    Sie dachte an Connors breites, verschmitztes Lächeln im Bus, als sie ihm gesagt hatte, dass er nun offiziell ihr fester Freund sei. Ja, er war ihr Freund. Und ihre Jungfräulichkeit an Connor zu verlieren wäre schön, herrlich, innig. Vor John-Paul hingegen würde sie sich vermutlich genieren, sich auszuziehen. Beim puren Gedanken daran blieb ihr beinahe das Herz stehen. Davon ganz abgesehen, verdiente er ein Mädchen mit einem Körper, der dem seinen ebenbürtig war. Er könnte merken, dass ihre Arme unverhältnismäßig lang waren. Oder er könnte sie auslachen wegen ihrer Trichterbrust.
    »Hi«, sagte sie.
    »Hi«, erwiderte er. Sie atmete tief durch, denn als ihre Blicke sich begegneten, war es wieder da. Dieses Gefühl, dass zwischen ihnen etwas wunderbar Großes war, etwas, das sie nicht ganz definieren konnte, das ihr zwanzigjähriges Ich vielleicht als »Leidenschaft« bezeichnen würde, ihr dreißigjähriges Ich möglicherweise etwas zynischer als »Chemie«. Ein winzig kleiner Teil von ihr, nur ein winzig kleiner Teil der Frau, die sie hätte werden können, flüsterte ihr zu: Komm schon, Janie, sei kein Feigling! Du magst ihn mehr als Connor. Nimm ihn! Es könnte etwas Großes sein. Etwas wunderbar Großes. Es könnte Liebe sein .
    Doch ihr Herz pochte so heftig, so angstvoll und schmerzlich, dass sie kaum atmen konnte. In ihrer Brust spürte sie einen Schmerz, der sich anfühlte, als würde sie zerquetscht. Sie wollte sich einfach wieder normal fühlen.
    »Ich muss dir etwas sagen«, begann sie kalt und hart und schickte sich an, ihr Schicksal zu besiegeln.

36
    Donnerstag
    »Cecilia! Hast du meine Nachricht bekommen? Ich habe die ganze Zeit versucht, dich zu erreichen!«
    »Cecilia! Du hattest recht mit den Losen für die Tombola.«
    »Cecilia! Du warst gestern gar nicht im Zumba-Kurs.«
    »Cecilia! Meine Schwägerin will eine Tupper-Party bei dir buchen.«
    »Cecilia! Kann Harriett nächste Woche nach dem Ballettunterricht für eine Stunde zu euch?«
    »Cecilia!«
    » Cecilia !«
    »Cecilia!«
    Es war Ostermützen-Parade, und die Mütter der St.-Angela-Grundschule waren zahlreich vertreten. Die meisten von ihnen hatten sich aus diesem Anlass fein gemacht. Zudem war es der erste, wirklich herbstliche Tag im neuen Schulhalbjahr. In hochhackigen Stiefeln, mit einem weichen, schönen Schal um den Hals und einer eng anliegenden Jeans um die spindeldürre (oder nicht ganz so spindeldürre) Taille geschnallt, stöckelten die Mütter über den Schulhof. Es war ein feuchter Sommer gewesen. Nun lag eine frische Kühle in der Luft, und die Vorfreude auf ein vier Tage langes Wochenende mit haufenweise Schokolade versetzte alle in heitere Stimmung. Unter den Müttern, die in einem doppelreihigen Kreis auf blauen Klappstühlen um den viereckigen Schulhof saßen, herrschte eine ausgelassene Stimmung.
    Die älteren Kinder, die an der Ostermützen-Parade nicht mehr teilnahmen, waren aus ihren Klassenzimmern gekommen, um zuzusehen. Lässig hingen sie über den Balkonbrüstungen der Pavillonbauten und gaben sich betont erwachsen, um deutlich zu zeigen, dass sie inzwischen viel zu alt waren für solche Kindereien. Dennoch wohnten

Weitere Kostenlose Bücher