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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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will nur nicht, dass sich meine Mutter Sorgen macht, wo ich bleibe. Sie wartet daheim auf mich.« Und plötzlich fiel ihr der eigentliche Grund ihres Treffens wieder ein. »He, wir haben gar nicht über deinen Neffen gesprochen. Du wolltest doch, dass ich ihm ein paar Karrieretipps gebe.«
    Connor lächelte. »Ben hat bereits einen Job. Ich brauchte nur eine Ausrede, um dich wiederzusehen.«
    »Wirklich?« Ein Glücksgefühl flackerte in ihr auf. Was gab es Schöneres, als begehrt zu werden? War es nicht das, was im Grunde jeder brauchte?
    »Jawohl.«
    Sie sahen sich an.
    »Connor …«
    »Keine Sorge«, meinte er. »Ich habe keine Erwartungen. Ich weiß, damit umzugehen.«
    »Womit?«, hakte Tess neugierig nach.
    Er zögerte. »Ich bin nicht sicher. Werde es mit meiner Therapeutin besprechen und es dich dann wissen lassen.«
    Tess stöhnte lachend auf. »Ich muss jetzt wirklich los«, sagte sie erneut.
    Doch es dauerte noch eine weitere halbe Stunde, bis sie endlich wieder in ihren Kleidern war.

34
    Cecilia ging in das angrenzende Bad, wo John-Paul sich gerade die Zähne putzte. Sie nahm ihre Zahnbürste, drückte Zahnpasta darauf und begann, sich ebenfalls die Zähne zu putzen. Dabei vermied sie es aber, seinen Blicken im Spiegel zu begegnen.
    Dann hielt sie inne. »Deine Mutter weiß es«, sagte sie.
    John-Paul beugte sich zum Waschbecken hinunter und spuckte aus. »Was meinst du?« Er richtete sich auf, trocknete sich den Mund mit dem Handtuch für die Hände ab und hängte es derart schludrig zurück an die Handleiste, dass man meinen könnte, er würde es absichtlich nicht ordentlich aufhängen.
    »Sie weiß es«, wiederholte Cecilia.
    Er fuhr herum. »Hast du es ihr erzählt ?«
    »Nein, ich …«
    »Wieso machst du das?« Alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Er schien nicht wütend, sondern eher betreten und überrascht zu sein.
    »John-Paul. Ich habe es ihr nicht erzählt. Ich habe lediglich erwähnt, dass Rachel zu Pollys Piratenparty kommt, und sie fragte, wie es dir damit gehe. Ich habe ihr nur angemerkt , dass sie es weiß.«
    John-Pauls Schultern lockerten sich. »Das musst du dir eingebildet haben.« Er klang bestimmt. So wie immer, wenn sie sich stritten. Er gab sich dann absolut selbstsicher, was dazu führte, dass er augenscheinlich recht hatte und sie nicht. Dass er auch mal unrecht haben könnte, kam ihm gar nicht erst in den Sinn. Es machte sie wahnsinnig. Cecilia musste an sich halten, um ihm nicht eine Ohrfeige zu geben.
    Jetzt lag genau darin ein Problem. All seine charakterlichen Schwächen waren für sie nun umso wichtiger geworden. Es war eine Sache, als lieber, rechtschaffener Ehemann und Vater seine Fehler und Schwächen zu haben. In John-Pauls Fall war das eine gewisse Sturheit (meist dann, wenn man sie gar nicht brauchen konnte), düstere Verstimmungen (ebenfalls zur falschen Zeit), eine nervige Unnachgiebigkeit in Streitereien, die ewige Unordentlichkeit oder das ständige Verschlampen irgendwelcher Habseligkeiten. Das alles schien harmlos und völlig normal zu sein, doch jetzt gehörten diese Fehler und Schwächen zu einem Mörder und wogen daher umso schwerer. Unwichtig hingegen schienen plötzlich John-Pauls gute Eigenschaften zu sein, denn die waren nur Fassade, waren unaufrichtig und dienten seiner falschen Identität. Wie könnte sie, Cecilia, ihn je wieder wie früher sehen? Wie könnte sie ihn noch lieben? Sie kannte ihn gar nicht. Sie war in eine Illusion verliebt gewesen. Die grünen Augen, die sie immer mit so viel Zärtlichkeit, Leidenschaft und Freude angesehen hatten, waren dieselben Augen, die Janie in jenen grausamen Minuten unmittelbar vor ihrem Tod gesehen hatte. Diese schönen, starken Hände, die die weichen, zerbrechlichen Köpfchen ihrer neugeborenen Töchter sanft umschlossen gehalten hatten, waren dieselben Hände, die sich um Janies Hals gelegt und zugedrückt hatten.
    »Deine Mutter weiß es«, sagte Cecilia erneut. »Sie hat ihren Rosenkranz auf den Zeitungsfotos erkannt. Sie hat mir ganz klar zu verstehen gegeben, dass eine Mutter für ihre Kinder alles tun würde und dass ich für meine Mädchen auch alles tun müsse, sprich, so weiterzumachen, als wäre es nie passiert. Es war gruselig. Deine Mutter ist gruselig .«
    Es fühlte sich an, als hätte sie mit diesen Worten eine unsichtbare Grenze überschritten. John-Paul war empfindlich, wenn man seine Mutter kritisierte. Das akzeptierte Cecilia normalerweise, auch wenn es sie öfter mal wurmte.
    John-Paul

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