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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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mich nicht«, sagte Felicity. »Und ich glaube nicht, dass er je in mich verliebt war. Es war einfach eine Schwärmerei. Das Ganze war einfach nur peinlich, wirklich. Ich habe es von vornherein gewusst. Gleich nachdem ihr weg wart, du und Liam, wusste ich, dass nichts weiter passieren würde.«
    »Aber …« Tess hob hilflos eine Hand. Sie fühlte sich zutiefst erniedrigt. Sämtliche Ereignisse der vergangenen Woche erschienen ihr plötzlich irrsinnig .
    »Für mich war es keine Schwärmerei«, sagte Felicity. Sie hob das Kinn. »Für mich war es ernst. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn seit Jahren schon.«
    »Ist das wahr?«, fragte Tess matt, aber nicht überrascht. Nicht wirklich. Vielleicht hatte sie es immer gewusst. Vielleicht hatte es ihr sogar gefallen zu spüren, dass Felicity in Will verliebt war, weil es ihn umso begehrenswerter hatte erscheinen lassen und weil es absolut sicher gewesen war. Denn dass Will sich sexuell zu Felicity hingezogen fühlte, war völlig undenkbar gewesen. Zwar hätte Tess es auf Teufel komm raus abgestritten, doch tief in ihrem Innern war sie fest davon überzeugt gewesen, dass kein Mann je wirklich auf Felicity stehen könnte. Hatte Tess ihre Cousine überhaupt nicht gesehen, nicht wahrgenommen? War sie wie alle anderen gewesen, die die wahre Felicity in der dicken Hülle nicht sahen?
    »Aber all die Jahre … All die gemeinsame Zeit mit uns. Das muss doch schrecklich gewesen sein«, sagte Tess.
    Doch wenn sie ehrlich zu sich war, hatte sie stets gedacht, dass Felicitys Gefühlswelt unter all dem Fett gut abgepuffert war. Und sie hatte stets geglaubt, dass Felicity doch sicherlich wissen und akzeptieren müsste, dass kein normaler Mann sie je wirklich lieben könnte! Und dennoch hätte Tess jeden getötet, der es gewagt hätte, dies laut auszusprechen!
    »Es war einfach so, so habe ich gefühlt.« Felicity zupfte an ihrer Jeans herum. »Ich wusste, dass er in mir nur eine Freundin gesehen hat. Ich wusste, dass er mich mochte. Vielleicht auch liebte – wie eine Schwester. Und das reichte, um Zeit mit ihm zu verbringen.«
    »Du hättest …«
    »Was? Ich hätte es dir erzählen müssen? Wie denn? Was hättest du denn machen können, außer mich zu bemitleiden? Ich hätte etwas unternehmen sollen. Ich. Ich hätte fortgehen und mein eigenes Leben anfangen sollen, statt immer nur euer treues, dickes Anhängsel zu sein.«
    »So habe ich nie von dir gedacht.« Tess war getroffen.
    »Ich habe nicht gesagt, dass du das von mir gedacht hast. Aber ich habe mich so gesehen, als euer Anhängsel. Als wäre ich nicht dünn genug, um auch ein richtiges Leben zu haben. Doch dann habe ich abgenommen und gemerkt, dass ich Männerblicke auf mich ziehe. Ich weiß, dass uns das als überzeugten Feministinnen eigentlich nicht gefallen dürfte, wenn man uns als Objekt betrachtet. Aber wenn man es nie erfahren hat, dann ist es … ja, dann ist es wie eine Droge. Ich liebte es. Ich fühlte mich so mächtig. Es war wie im Film, wenn der Superheld zum ersten Mal seine Kräfte entdeckt. Und dann dachte ich, mal sehen, ob Will mich nicht vielleicht jetzt zur Kenntnis nimmt, so wie all die anderen Männer … Und dann, ja, dann …«
    Felicity hielt inne. Sie war richtig in Fahrt geraten, ihre Geschichte zu erzählen, und hatte darüber ganz vergessen, dass sie mit Tess damit vielleicht an der falschen Adresse war. Für Tess waren es nur wenige Tage gewesen, in denen sie sich außerstande gesehen hatte, mit ihrer Cousine zu reden. Für Felicity hingegen waren es bereits Jahre, in denen sie ihr größtes Geheimnis unmöglich hatte teilen können.
    »Und dann hat er dich zur Kenntnis genommen.« Tess beendete den Satz. »Du hast deine Superkräfte ausprobiert, und es hat funktioniert.«
    Felicity antwortete mit einem gefälligen, leicht verlegenen Schulterzucken. Es war komisch, wie all ihre Gesten mit einem Mal ganz anders wirkten. Tess war sicher, dieses spezielle Schulterzucken nie zuvor an ihr erlebt zu haben; es war irgendwie … kokett.
    »Ich glaube, Will hatte ein derart schlechtes Gewissen, weil er sich ein klein wenig zu mir hingezogen fühlte und sich deshalb eingeredet hat, in mich verliebt zu sein«, sagte Felicity. »Als du und Liam weg wart, veränderte sich alles schlagartig. Ich glaube, er hat das Interesse an mir verloren in dem Moment, als du aus der Tür warst.«
    »In dem Moment, als ich aus der Tür war also«, wiederholte Tess.
    »Ja.«
    »Quatsch!«
    Felicity hob den Kopf. »Doch. Es

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