Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
Vom Netzwerk:
wirklich, ich hätte Connor auch nur angesehen, wenn du und Will mir nichts von euch erzählt hättet?«
    »Jetzt schmeiß nicht alles durcheinander! Und verdammt noch mal, hör auf, mir wehzutun!«
    Tess versetzte ihr einen letzten Hieb und lehnte sich zurück. Nie zuvor hatte sie einen so unbändigen Drang verspürt, jemanden zu schlagen. Normalerweise hätte sie diesem Impuls nie nachgegeben. Doch nun schien es, als wären Sitte und Anstand, die sie als eine gesellschaftsfähige, erwachsene Person ausgemacht hatten, mit einem Mal dahin. Vergangene Woche noch war sie eine Schul-Mum und eine berufstätige Frau gewesen. Jetzt hatte sie in fremden Wohnungen Sex auf dem Fußboden und schlug ihre Cousine. Was würde als Nächstes kommen?
    Sie holte tief und zittrig Luft. Es war im Eifer des Gefechts geschehen, wie man so schön sagt. Doch wie glühend heiß es in diesem Eifer werden könnte, war ihr bislang nie klar gewesen.
    »Egal«, sagte Felicity. »Will möchte die Dinge beheben, und ich werde das Land verlassen. Also mach, was du willst!«
    »Danke«, sagte Tess. »Danke vielmals. Danke für alles.« Sie konnte förmlich spüren, wie der Zorn aus ihr wich und die Glieder erschlaffen ließ.
    Einen Moment lang herrschte Schweigen.
    »Er will noch ein Kind«, sagte Felicity.
    »Erzähl mir nicht, was er will!«
    »Er will wirklich noch ein Kind.«
    »Und ich nehme an, du hättest es ihm gern geschenkt«, fauchte Tess.
    »Ja. Tut mir leid. Ja, es ist so.« Tränen traten in ihre Augen.
    »Himmelherrgott, Felicity! Jetzt drehe es nicht so, als müsste ich noch ein schlechtes Gewissen haben! Das ist nicht fair. Wieso musstest du dich ausgerechnet in meinen Mann verlieben? Wieso nicht in den Mann einer anderen?«
    »Wir sind ja kaum unter andere Leute gegangen.« Felicity lachte auf, während dicke Tränen über ihre Wangen liefen. Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
    Da hatte sie recht.
    »Er denkt, dass er eine weitere Schwangerschaft nicht von dir verlangen kann, wo dir bei der ersten so übel war«, sagte Felicity. »Aber das muss beim zweiten Mal ja nicht unbedingt wieder so sein, nicht wahr? Jede Schwangerschaft ist anders. Ihr solltet noch ein Baby bekommen.«
    »Meinst du wirklich, wir kriegen noch ein Kind und leben dann glücklich bis ans Ende unserer Tage? Ein Kind kann eine Ehe nicht reparieren. Und dass es überhaupt etwas zu reparieren gibt, war mir neu.«
    »Ich weiß, ich dachte bloß …«
    »Die Schwangerschaftsübelkeit ist nicht der Grund, warum ich kein zweites Kind mehr will. Der Grund sind die Leute.«
    »Die Leute?«
    »Die anderen Mütter, die Lehrer, die Leute eben. Mir war nicht klar, dass man mit einem Kind derart gesellschaftlich gefordert ist. Ständig musst du mit den Leuten sprechen .«
    »Und weiter?« Felicity wirkte verwirrt.
    »Ich habe eine Phobie. Ich habe einen Test in einer Zeitschrift gemacht. Ich habe …« Tess senkte ihre Stimme. »Ich leide unter einer Sozialphobie.«
    »Bestimmt nicht«, entgegnete Felicity.
    »Doch! Das hat der Test ergeben.«
    »Du stellst dir nicht wirklich selbst eine Diagnose aufgrund irgendeines Tests in einer Zeitschrift?«
    »Der Test war im Reader’s Digest , nicht in der Cosmopolitan . Und es stimmt! Ich halte es nicht aus, neue Menschen kennenzulernen. Mir wird schlecht dabei. Ich kriege Herzrasen. Partys kann ich nicht ausstehen.«
    »Viele gehen nicht gern auf Partys. Spring über deinen Schatten!«
    Tess war fassungslos. Sie hatte leises Mitleid erwartet.
    »Du bist eben schüchtern«, sagte Felicity. »Nicht so eine großmäulige, extrovertierte Person. Die Leute mögen dich. Sie mögen dich wirklich. Hast du das nie bemerkt? Tess, mal im Ernst, meinst du denn, du hättest all die vielen Jungs gehabt, wenn du bloß das schüchterne, unsichere kleine Ding gewesen wärst, als das du dich heute siehst? Du hast bis zu deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag rund dreißig Jungs gehabt.«
    Tess verdrehte die Augen. »Habe ich nicht.«
    Wie konnte sie Felicity begreiflich machen, dass in ihrem Leben nicht einfach alles nur schwarz oder weiß war, wie sie es darstellte? Ihre Angst war wie ein eigentümliches, launenhaftes kleines Haustier, das sie im Zaum halten musste. Mal war es ruhig und gefügig, dann aber wieder total närrisch, sprang wie wild im Kreis und kläffte ihr ins Ohr. Und außerdem waren Verabredungen mit Jungs schon immer etwas völlig anderes gewesen. Verabredungen folgten ganz eigenen festgelegten Regeln. Und damit

Weitere Kostenlose Bücher