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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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Eltern tut, wenn man ihnen von den eigenen Erinnerungen an ihre Kinder erzählt. Für diese Eltern nämlich würde es keine neuen Erinnerungen mehr geben, und so war es ein Geschenk für sie, die eigenen Erinnerungen mit ihnen zu teilen. Und seither musste Cecilia jedes Mal, wenn sie Rachel sah, an ihre Erinnerungen mit Janie denken, so belanglos ihr die auch erschienen, und sie fragte sich, wie sie sie mit Rachel teilen könnte. Aber die Gelegenheit dazu hatte sich nie geboten. Man konnte dieses Thema nicht mal eben so ansprechen, schon gar nicht im Schulsekretariat, wo es um andere Dinge ging, Dinge wie Schuluniformen oder Stundenpläne.
    Doch jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt. Der einzige. Zumal Rachel selbst die Sprache auf Janie gebracht hatte.
    »Ich habe sie eigentlich gar nicht gekannt«, gestand Cecilia. »Sie war vier Jahre älter als ich. Aber eine Erinnerung habe ich an sie.« Sie zögerte.
    »Erzähl bitte weiter!« Rachel setzte sich aufrecht hin. »Ich liebe es, Erinnerungen an Janie zu hören.«
    »Na ja, es ist nur eine winzig kleine«, meinte Cecilia und hatte auf einmal Angst, dass sie nicht genug zu erzählen hatte. Kurz überlegte sie, ob sie die Geschichte nicht ein bisschen ausschmücken sollte. »Ich war in der zweiten Jahrgangsstufe, Janie in der sechsten. Ich kannte ihren Namen, da sie House Captain der Reds war.«
    »Ah, ja.« Rachel lächelte. »Wir färbten alles rot. Und aus Versehen haben wir sogar ein Arbeitshemd von Ed rot verfärbt. Komisch, dass man das alles vergisst!«
    »Also, es war Schulfasching, und weißt du noch, wie wir immer in der Parade marschiert sind? Jedes House musste um das Oval marschieren. Ich sage immer zu Connor Whitby, dass wir das wieder einführen sollten. Aber er lacht mich nur aus.«
    Cecilia blickte hinüber zu Rachel und bemerkte, dass ihr Lächeln ein wenig verflogen war. Sie überlegte. War das zu aufwühlend für sie? Oder nicht interessant? »Ich gehörte zu den Kindern, die die Parade sehr ernst nahmen. Und ich wollte unbedingt, dass wir Reds gewinnen, doch da stolperte ich, und weil ich dann hinfiel, sind alle anderen Kinder hinter mir auf mich draufgefallen. Einige sind auch über mich gestolpert, und Schwester Ursula hat geschrien wie am Spieß. Damit war es aus und vorbei für Red. Ich brach in lautes Schluchzen aus, dachte, die Welt geht unter, und Janie Crowley, deine Janie, kam zu mir und half mir auf. Sie klopfte mir die Uniform am Rücken ab und flüsterte mir ins Ohr: ›Macht nichts. Ist doch nur eine dumme Parade.‹«
    Rachel schwieg.
    »Das ist alles«, sagte Cecilia bescheiden. »Nicht viel, aber ich muss einfach immer …«
    »Danke schön, mein Liebes!«, flüsterte Rachel, und Cecilia fühlte sich an einen Erwachsenen erinnert, der sich bei seinem Kind für ein selbst gebasteltes Lesezeichen aus Pappe und Glitzerpapier bedankt. Rachel hob eine Hand, als wollte sie winken, strich Cecilia sanft über die Schulter und ließ die Hand dann wieder zurück in ihren Schoß fallen. »Das passt zu Janie. ›Nur eine dumme Parade.‹ Weißt du, was? Ich glaube, ich erinnere mich daran. Alle Kinder sind plötzlich auf den Boden gepurzelt. Marla und ich haben uns scheckig gelacht.« Sie stockte.
    Cecilias Bauch krampfte sich zusammen. Würde Rachel gleich in Tränen ausbrechen?
    »Oje, du weißt, ich bin ein bisschen beschwipst«, bemerkte Rachel. »Ich habe mir tatsächlich eingebildet, ich könne noch selbst nach Hause fahren. Stell dir bloß vor, ich hätte jemanden überfahren!«
    »Das hättest du bestimmt nicht.«
    »Ich habe mich heute Abend wirklich wohlgefühlt.« Rachel hatte den Kopf zur Seite gedreht, zum Autofenster hin. Sie drückte die Stirn ganz leicht gegen die Scheibe und wirkte dabei wie eine wesentlich jüngere Frau, die einen über den Durst getrunken hatte. »Ich sollte öfter mal weggehen«, sagte sie.
    »Ja, klar!«, rief Cecilia. Das war ihre Chance. Diesen Faden konnte sie aufgreifen. »Du musst unbedingt zu Pollys Geburtstagsparty kommen, am Wochenende nach Ostern, Samstagnachmittag um zwei. Eine Piratenparty.«
    »Das ist sehr nett von dir, aber ich bin sicher, dass Polly mich auf ihrer Party nicht braucht«, erwiderte Rachel.
    »Doch, du musst kommen! Du wirst eine Menge Leute dort kennen. John-Pauls Mutter. Meine Mutter. Lucy O’Leary kommt mit Tess und deren Sohn Liam. Du kannst deinen Enkel gern mitbringen. Ja, bring Jacob mit! Die Mädchen würden sich riesig freuen über so einen kleinen Knirps.«
    Rachels

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