Die Wahrheit eines Augenblicks
kam hereingewirbelt. Der Abend war ein voller Erfolg gewesen. »Du kannst nicht mehr fahren, du Dummerchen! Du hast viel zu viel getankt. Mac kann dich bringen. Der hat sowieso nichts Besseres zu tun.«
»Nein, schon gut. Ich bestelle mir ein Taxi.« Rachel stand auf; sie fühlte sich ein bisschen schwindelig. Sie wollte nicht, dass Mac sie heimfuhr. Mac, der den ganzen Abend in seinem Arbeitszimmer gesessen hatte, war ein ganzer Kerl und immer blendend mit Ed ausgekommen, aber er war auch anstrengend reserviert, wenn er sich allein mit Frauen unterhielt. Es wäre ihr eine Qual, nur mit ihm im Auto zu sitzen.
»Du wohnst doch in der Nähe der Tennisplätze an der Wycombe Road, nicht wahr, Rachel?«, fragte Cecilia. »Dann kann ich dich mitnehmen. Das liegt auf meinem Weg.«
Kurz darauf saß Rachel auf dem Beifahrersitz in Cecilias weißem Ford Territory mit dem riesigen Tupperware-Logo an den Seiten und winkte Marla zum Abschied. Das Auto war sehr bequem, leise, sauber und wohlriechend. Cecilia fuhr so, wie es auch sonst ihrem Wesen entsprach: versiert und forsch. Rachel lehnte den Kopf zurück an die Kopfstütze und rechnete mit Wortergüssen über Tombola, Fasching, Pfarrblätter und was sonst noch so alles zur Gemeinde von St. Angela gehörte, in denen sich Cecilia bestimmt gleich ergehen würde.
Stattdessen umfing sie Stille. Rachel linste zu Cecilia hinüber. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und kniff die Augen leicht zusammen, als fügte ihr jemand Schmerzen zu.
Eheprobleme? Oder war etwas mit den Kindern? Rachel erinnerte sich an die Zeiten, da sie selbst ständig mit riesengroß erscheinenden Problemen beschäftigt gewesen war – Problemen um Sex, ungezogene Kinder, missverstandene Bemerkungen, kaputte Haushaltsgeräte und Geld.
Nicht, dass sie jetzt der Meinung war, all diese Probleme wären halb so wild. Keineswegs. Sie sehnte sich förmlich danach, sie zu haben, sehnte sich nach dem oft schwierigen Alltagsstress als Mutter und Ehefrau. Wie wunderbar, dass Cecilia Fitzpatrick nach einer erfolgreichen Tupper-Party nach Hause zu ihren Töchtern fahren und sich Sorgen machen konnte!
Schließlich war es Rachel, die das Schweigen brach. »Ich habe mich heute Abend richtig wohlgefühlt«, gestand sie. »Du hast deinen Job großartig gemacht. Kein Wunder, dass du darin so erfolgreich bist.«
Cecilia tat es mit einem leichten Schulterzucken ab. »Danke. Ich liebe meinen Job«, erwiderte sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. »Meine Schwester macht sich eher darüber lustig.«
»Ist nur neidisch«, vermutete Rachel.
Cecilia hob die Schultern und gähnte. Sie schien nun eine ganz andere Person zu sein als die Frau, die eben in Marlas Haus noch die Tupperware-Vorführerin gewesen war und die, die sich stets so umtriebig für St. Angela engagierte.
»Ich würde gern mal deinen Vorratsschrank sehen«, sinnierte Rachel. »Ich wette, alles ist etikettiert und befindet sich in der perfekten Dose. Meiner gleicht einem Katastrophengebiet.«
»Ich bin stolz auf meinen Vorratsschrank.« Cecilia lächelte. »John-Paul sagt immer, es sähe darin aus wie in einem Aktenschrank für Lebensmittel. Und die Mädchen kriegen Ärger mit mir, wenn sie etwas an die falsche Stelle zurückstellen.«
»Wie geht es deinen Töchtern?«
»Großartig«, antwortete Cecilia, obgleich Rachel ein leichtes Stirnrunzeln nicht entging. »Wachsen schnell. Halten mich echt auf Trab.«
»Deine Älteste, Isabel, habe ich neulich im Gottesdienst gesehen. Sie erinnert mich ein bisschen an meine Tochter. An Janie.«
Cecilia schwieg.
Warum musste ich das jetzt sagen? , dachte Rachel bei sich. Bin wohl beschwipster, als mir klar war. Keine Frau will hören, dass ihre Tochter einem Mädchen ähnlich sieht, das erdrosselt wurde .
Aber dann sagte Cecilia, die Augen geradeaus auf die Straße geheftet: »Ich habe nur eine einzige Erinnerung an deine Tochter.«
12
»Ich habe nur eine einzige Erinnerung an deine Tochter.«
War es richtig, Rachel das zu sagen? Was, wenn sie sie damit zum Weinen brachte? Sie hatte eben die beiden Sets »Große Hitparade« und »Kleine Hitparade« gewonnen und schien sich so sehr darüber zu freuen.
Cecilia fühlte sich in Rachels Beisein nie richtig wohl. Sie fühlte sich unwichtig, denn natürlich war die ganze Welt unwichtig in den Augen einer Frau, die ein Kind unter solchen Umständen verloren hatte. Vor Jahren hatte Cecilia im Fernsehen einmal eine Sendung darüber gesehen, wie gut es trauernden
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