Die Wahrheit eines Augenblicks
gelegen, dass sie sich mehr wie Marla kleiden solle. Und dann, als Rachel tatsächlich einmal ein Kleid trug, zu dem ihre Freundin sie überredet hatte, es zu kaufen, war es auch nicht recht.
»Ich frage mich, ob Janie Tupper-Partys gemocht hätte«, sagte Rachel, während sie eine Frau mittleren Alters beobachtete, die am Nebentisch mit ihrem kleinen Jungen herumzeterte. Sie versuchte, sich Janie als Frau Mitte vierzig vorzustellen (was ihr wie immer nicht gelingen wollte). Manchmal traf sie in irgendwelchen Läden zufällig alte Freundinnen ihrer Tochter. Und es war jedes Mal ein kleiner Schock für sie zu sehen, wie hinter den aufgedunsenen, universellen Gesichtern irgendwo die einst jugendlichen siebzehnjährigen Gesichter aufblitzten. Rachel musste jedes Mal an sich halten, um nicht laut aufzuschreien: »Gute Güte, meine Liebe, bist du aber alt geworden!«
»Ich erinnere mich, dass Janie sehr ordentlich war«, bemerkte Marla. »Sie mochte es, organisiert zu sein. Ich wette, Tupperware wäre echt ihr Ding gewesen.«
Das Wunderbare an Marla war, dass sie Rachels Wunsch verstand, endlos darüber zu reden, wie Janie wohl heute, als erwachsene Frau, wäre, wie viele Kinder sie hätte und was für einen Mann sie wohl geheiratet hätte. Das hielt Janie lebendig, und wenn auch nur für ein paar Minuten. Ed hatte diese hypothetischen Unterhaltungen so sehr gehasst, dass er jedes Mal aus dem Zimmer gegangen war. Er hatte nicht verstehen können, warum Rachel stets das Bedürfnis verspürte, darüber zu reden, »wie es hätte werden können«, anstatt einfach zu akzeptieren, dass nichts davon jemals sein würde. »Entschuldige, wenn ich geredet habe!«, hatte Rachel dann immer außer sich hinter ihm hergeschrien.
»Bitte, komm zu meiner Tupper-Party!«, sagte Marla jetzt.
»In Ordnung.« Rachel seufzte. »Aber nur dass du es weißt: Ich werde nichts kaufen.«
Und so kam es, dass sie nun in Marlas engem Wohnzimmer hockte, wo es laut zuging mit all den Frauen, die Cocktails tranken. Rachel saß eingezwängt auf dem Sofa zwischen Marlas beiden Schwiegertöchtern Eve und Arianna, die beide keine Absichten hatten, nach New York zu ziehen und die auch noch beide schwanger waren mit Marlas ersten Enkelkindern.
»Die Schmerzen scheue ich total«, gestand Eve ihrer Schwägerin Arianna. »Ich habe meiner Gynäkologin im Krankenhaus gesagt, dass ich null Schmerztoleranz habe. Null. Sprich mich bloß nicht darauf an!«
»Nun, ich denke, auf Schmerzen steht niemand wirklich«, sagte Arianna, die jedes Wort, das aus Eves Mund kam, zu bezweifeln schien. »Außer Masochisten.«
»Es ist in der heutigen Zeit nicht hinnehmbar«, erwiderte Eve. »Ich verweigere mich. Ade, liebe Schmerzen, sage ich da.«
Aha, darin lag also mein Fehler, dachte Rachel. Ich hätte den Schmerzen Ade sagen müssen.
»Seht mal, meine Damen, wer hier ist!« Marla erschien mit einem Tablett Hotdogs in der Hand und Cecilia Fitzpatrick an ihrer Seite. Cecilia sah aus wie aus dem Ei gepellt und zog einen schmucken schwarzen Rollkoffer hinter sich her.
Offenbar war es so etwas wie ein Staatsstreich, Cecilia Fitzpatrick als Ausrichterin einer Tupper-Party zu bekommen, da sie immer ausgebucht war. Ihrer Schwiegermutter zufolge hatte sie sechs Tupperware-Vertreterinnen »unter sich« und wurde auf alle möglichen »Spritztouren« nach Übersee geschickt.
»Also, Cecilia, möchtest du etwas trinken?« Marla war ganz die beflissene Gastgeberin, und die Brötchen auf dem Tablett in ihrer Hand gerieten gefährlich ins Rutschen.
Cecilia brachte ihren Koffer elegant zum Stehen und rettete die heißen Würstchen im letzten Moment.
»Nur ein Glas Wasser, Marla, das wäre prima«, sagte sie. »Gib mir mal das Tablett, dann reiche ich die Hotdogs herum, während ich mich vorstelle. Obwohl ich denke, dass ich eine Menge Gesichter schon kenne. Hallo, ich bin Cecilia, und du bist Arianna, richtig?« Marlas Schwiegertochter sah Cecilia mit ausdrucksloser Miene an und nahm sich einen Hotdog vom Tablett. »Deine jüngere Schwester ist die Ballettlehrerin meiner Tochter. Ich werde dir gleich ein paar kleine Döschen zeigen, die perfekt sind, um Babybrei einzufrieren, wenn dein Baby dann langsam feste Nahrung essen kann! Oh, Rachel, schön, dich zu sehen! Wie geht es dem kleinen Jacob?«
»Der zieht für zwei Jahre nach New York«, antwortete Rachel mit einem gequälten Lächeln und nahm sich ebenfalls einen Hotdog.
Cecilia hielt inne. »Oh, Rachel, das ist ja schade!«,
Weitere Kostenlose Bücher