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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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Schultern. Ha, ha. Sie warf noch einmal einen Blick auf das Motorrad. »Als ich siebzehn war, sagte meine Mutter zu mir, sie würde mir fünfhundert Dollar zahlen, wenn ich einen Vertrag unterschreiben und ihr versprechen würde, niemals zu einem Jungen auf ein Motorrad zu steigen.«
    »Und, hast du unterschrieben?«
    »Klar.«
    »Und den Vertrag auch nie gebrochen?«
    »Nee.«
    »Ich bin jetzt fünfundvierzig«, sagte Connor. »Also eigentlich kein Junge mehr.«
    Ihre Blicke trafen sich. War das ein … kleiner Flirt? Tess erinnerte sich daran, wie sie früher neben ihm aufgewacht war, in einem einfachen, weiß gestrichenen Zimmer mit einem Fenster, das auf eine stark befahrene Autobahn ging. Und hatte er nicht ein Wasserbett gehabt? Hatten Felicity und sie sich nicht deshalb scheckig gelacht? Er trug eine Kette mit einem Christophorus-Anhänger, die ihr immer ins Gesicht baumelte, wenn sie miteinander schliefen.
    Mit einem Mal war ihr übel. Richtig schlecht. Es war ein Fehler gewesen. Ein schrecklicher Fehler.
    Connor schien ihren Stimmungswandel zu bemerken.
    »Also, Tess, ich rufe dich irgendwann an, und dann treffen wir uns auf einen Kaffee.« Er setzte sich den Helm auf, brachte sein Motorrad auf Touren, hob eine schwarz behandschuhte Hand und brauste davon.
    Tess sah ihm nach, und es schoss ihr plötzlich in den Sinn, dass sie den ersten Orgasmus ihres Lebens auf diesem lächerlichen Wasserbett gehabt hatte. Und da sie so darüber nachdachte, fiel ihr auf, dass sie noch eine ganze Reihe anderer »erste Male« in diesem Bett gehabt hatte. Schwapp, schwapp – so machte das Bett in einem fort. Sex war für ein braves, katholisches Mädchen wie Tess damals grob, schmutzig und neu gewesen.
    Als sie die hell erleuchtete Tankstelle betrat, um zu bezahlen, sah sie sich kurz selbst in einem Sicherheitsspiegel. Ihre Wangen waren rosig überhaucht.

19
    »Du hast ihn also gelesen«, sagte John-Paul.
    Cecilia blickte ihn an, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen. Sie sah einen Mann mittleren Alters, der einmal sehr attraktiv gewesen war und es auch immer noch war, für sie jedenfalls. John-Paul hatte ein sehr ehrliches, vertrauenerweckendes Gesicht. Von ihm würde man getrost einen Gebrauchtwagen kaufen. Er hatte wie alle Fitzpatricks diese markante, stark ausgeprägte Kinnpartie. Sein graues Haar war voll und dick. Wenn es um seine Haare ging, war er nach wie vor eitel. Früher hatte er sie gern geföhnt. Und seine Brüder hatten ihn ständig damit aufgezogen. Er stand in seinen blau-weiß gestreiften Boxer-Shorts und einem roten T-Shirt in der Tür zum Arbeitszimmer. Sein Gesicht war blass und verschwitzt, als hätte er eine Lebensmittelvergiftung.
    Cecilia hatte ihn nicht gehört, wie er vom Speicher wieder heruntergestiegen und über den Flur gelaufen war. Sie wusste nicht, wie lange er schon dastand, während sie hier saß und mit leerem Blick auf ihre Hände stierte, die gefaltet in ihrem Schoß lagen, wie bei einem kleinen Mädchen in der Kirche.
    »Ich habe ihn gelesen«, sagte sie.
    Sie zog das Blatt Papier heran und las die Zeilen noch einmal, langsam, als stünde jetzt, da John-Paul bei ihr war, vielleicht etwas ganz anderes darin.
    Der Brief war mit blauem Kugelschreiber auf liniertem Papier geschrieben. Es fühlte sich leicht geriffelt an, wie Blindenschrift. Er muss fest mit dem Stift aufgedrückt haben, als hätte er versucht, jedes einzelne Wort in das Papier einzugravieren. Keine Absätze. Keine Leerstellen. Die Wörter standen dicht an dicht ohne einen Zwischenraum.
    Meine allerliebste Cecilia,
    wenn du das hier liest, bin ich schon verstorben, was ziemlich melodramatisch klingt, jetzt, da ich es niederschreibe. Aber so ist es nun mal, jeder stirbt ja irgendwann. Im Augenblick liegst du im Krankenhaus mit unserem kleinen Mädchen Isabel. Sie wurde ganz früh heute Morgen geboren. Sie ist so wunderschön, so winzig klein und so hilflos. Nie zuvor habe ich ein solches Glück verspürt wie heute Morgen, als ich sie das erste Mal in den Armen hielt. Ich habe große Angst, dass ihr etwas zustoßen könnte. Und deshalb schreibe ich diese Worte nieder. Nur für den Fall, dass mir etwas passiert. Es ist das Mindeste, was ich tun kann. Zumindest habe ich so versucht, alles in Ordnung zu bringen. Ich habe ein paar Bier intus, und vielleicht hat es auch gar keinen Sinn, und ich zerreiße diesen Brief gleich wieder. Cecilia, ich muss dir etwas sagen. Als ich siebzehn war, habe ich Janie Crowley umgebracht. Falls

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