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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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ihre Eltern noch leben, sage ihnen bitte, dass es mir leidtut und dass es ein Unfall war! Es war nicht geplant. Ich habe die Beherrschung verloren. Ich war siebzehn und ein verdammter Idiot. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich das getan habe. Es ist wie im Albtraum. Es fühlt sich an, als wäre ich im Drogenrausch gewesen oder besoffen, aber das war ich nicht. Ich war stocknüchtern. Ich bin einfach ausgetickt. Es geschah im Affekt. Klingt, als versuchte ich, meine Tat zu rechtfertigen, doch ich will mich nicht herausreden. Ich habe diese schreckliche, unvorstellbare Tat begangen, und ich habe keine Erklärung dafür. Ich weiß, was du jetzt denkst, Cecilia, weil für dich immer alles nur schwarz oder weiß ist. Du fragst dich, warum ich kein Geständnis abgelegt habe? Aber du weißt, Cecilia, warum ich nicht ins Gefängnis gehen konnte. Du weißt, dass man mich nicht hätte einsperren können. Ja, ich bin ein Feigling. Deshalb habe ich auch versucht, mich umzubringen, damals, mit achtzehn, doch ich hatte nicht den Mumm, es tatsächlich durchzuziehen. Bitte, sag Ed und Rachel Crowley, dass seither kein Tag in meinem Leben vergangen ist, an dem ich nicht an ihre Tochter gedacht hätte. Sag ihnen, es ging ganz schnell. Sekunden zuvor noch hatte Janie gelacht. Sie war fröhlich und unbeschwert, bis zum Schluss. Das mag absolut schrecklich klingen. Ja, es klingt schrecklich. Ach, sag es ihnen nicht! Sag ihnen, es war ein Unfall, Cecilia. Janie hatte mir erzählt, dass sie jetzt in einen anderen Typen verliebt sei, und mich ausgelacht. Das ist alles. Ich habe den Verstand verloren. Bitte, sag den Crowleys, dass es mir leidtut, wie es mir nur leidtun kann! Bitte, sag Ed Crowley, dass ich jetzt, da ich selbst Vater bin, genau verstehe, welche Schuld ich damals auf mich geladen habe. Diese Schuld war wie ein Tumor, der mich allmählich aufgefressen hat, und es ist heute schlimmer als je zuvor. Es tut mir wahnsinnig leid, Cecilia, dass ich dir das sagen muss, aber ich weiß, dass du stark genug bist, damit umzugehen. Ich liebe dich und unsere Kleine so sehr! Du hast mir mehr Glück geschenkt, als ich es je verdient hätte. Ich habe nichts verdient und alles bekommen. Es tut mir so leid.
    In Liebe
    John-Paul .
    Cecilia hatte angenommen zu wissen, was Wut war; schließlich war sie schon viele Male wütend gewesen. Aber sie hatte keine Ahnung gehabt, wie sich echte Wut wirklich anfühlt. Das kalt-heiße Brennen reinster Wut. Ein stürmisches, irres, wunderbares Gefühl. So, als könnte man fliegen. Als könnte sie, Cecilia, durch das Zimmer fliegen wie ein Dämon und John-Paul das Gesicht blutig kratzen.
    »Ist das wahr?«, fragte sie. Sie war enttäuscht vom Klang ihrer Stimme. Sie klang schwach. Nicht so wie die Stimme eines Menschen, der rasend war vor Zorn. »Ist das wahr?«, wiederholte sie, stärker jetzt.
    Sie wusste, es war wahr. Aber ihr Wunsch, alles könnte nur ein schrecklicher Irrtum, ein Missverständnis sein, war so übermächtig, dass sie diese Frage stellen musste. Sie flehte förmlich, dass sich diese Wahrheit umkehren möge.
    »Es tut mir leid«, sagte er. Seine Augen waren blutunterlaufen und rollten wild wie die eines verängstigten Pferdes.
    »Aber du würdest doch nie …«, protestierte Cecilia. »Das könntest du nie.«
    »Ich kann es nicht erklären.«
    »Du hast Janie Crowley doch gar nicht gekannt.« Sie korrigierte sich. »Ich wusste gar nicht, dass du sie gekannt hast. Du hast sie mir gegenüber nie erwähnt.«
    Als Janies Name fiel, begann John-Paul sichtlich zu zittern. Er hielt sich am Türrahmen fest. Seine intuitive Reaktion war noch schockierender als die ungeheuren Worte, die er geschrieben hatte.
    »Wenn du gestorben wärst«, sagte sie, »wenn du gestorben wärst, und ich hätte diesen Brief gefunden …« Sie stockte. Vor lauter Wut konnte sie nicht atmen. »Wie kannst du mir so etwas hinterlassen? Mir auftragen, das hier für dich zu erledigen? Von mir erwarten, dass ich bei Rachel Crowley an die Tür klopfe und ihr … das sage?« Sie stand auf, schlug die Hände vor das Gesicht und ging im Kreis herum. Sie war nackt, wie ihr in diesem Moment erst auffiel, doch es war ihr egal. Ihr T-Shirt lag noch am Fußende des Bettes. »Ich habe Rachel heute Abend nach Hause gefahren! Ich habe sie nach Hause gefahren! Ich habe mit ihr über Janie gesprochen! Ich dachte, ich mache ihr eine Freude, wenn ich ihr von meiner Erinnerung an Janie erzähle … und dabei lag die ganze Zeit dieser

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