Die Wahrheit eines Augenblicks
ich mich gefragt, ob du nicht Lust hättest … hm, dass wir uns mal treffen. Auf einen Kaffee vielleicht?«
»Oh!«, entfuhr es Tess. Kaffee mit Connor Whitby. Das erschien ihr vollkommen abwegig. Ihr ganzes Leben war gerade aus den Fugen geraten! Da würde sie sich bestimmt nicht auf einen Kaffee mit diesem süßen, aber doch irgendwie hölzernen Exfreund aus Jugendtagen treffen.
Wusste er nicht, dass sie verheiratet war? Sie drehte die Hand an der Zapfpistole so, dass ihr Ehering nicht zu übersehen war. Nach wie vor fühlte sie sich absolut verheiratet!
Zurück nach Hause zu ziehen war so, wie Facebook beizutreten – Exfreunde im vorgerückten Alter kamen wie Kakerlaken aus allen Löchern gekrochen, luden sie auf einen Drink ein und streckten ihre ekligen, kleinen Fühler nach einer potenziellen Affäre aus. Ob Connor verheiratet war? Sie spähte auf seine Hände, konnte aber keinen Ring entdecken.
»Nein, ich will dir kein Date vorschlagen, falls du das denkst«, meinte er.
»Das dachte ich nicht.«
»Ich weiß, du bist verheiratet, keine Sorge. Sag mal, erinnerst du dich noch an den Sohn meiner Schwester, an Benjamin? Egal, er ist gerade mit der Uni fertig und will in die Werbung oder ins Marketing. Das ist doch dein Gebiet, nicht wahr? Eigentlich wollte ich deine fachliche Kompetenz ausnutzen.« Er kaute auf seiner Wange. »Gut, ausnutzen ist vielleicht das falsche Wort …«
»Benjamin ist mit der Uni fertig?« Tess war verwundert. »Aber wie kann das sein? Er hat doch gerade noch die Vorschule besucht!«
Die Erinnerungen kehrten zurück. Eben noch hätte sie nicht einmal sagen können, wie Connors Neffe heißt, oder sich gar erinnern können, dass er einen Neffen hatte. Und jetzt sah sie plötzlich die blassgrüne Tapete in Benjamins Zimmer ganz genau vor sich.
»Vor sechzehn Jahren war er in der Vorschule«, erwiderte Connor. »Jetzt ist er eins fünfundachtzig groß, sehr behaart und hat sich einen Barcode auf den Nacken tätowieren lassen. Kein Witz. Einen Barcode.«
»Wir waren mal im Zoo mit ihm.« Tess wunderte sich noch immer, wie viel ihr plötzlich wieder einfiel.
»Ja, das waren wir.«
»Deine Schwester hatte tief und fest geschlafen.« Tess erinnerte sich an eine dunkelhaarige Frau, die bis zum Hals zugedeckt auf dem Sofa lag. »Sie hatte Grippe.« Und war sie nicht alleinerziehend? Nicht, dass Tess dies damals gut gefunden hätte. Sie hätte ihr anbieten müssen, für sie einkaufen zu gehen. »Wie geht es deiner Schwester?«
»Oh, wir haben sie leider verloren, vor ein paar Jahren.« Er klang zögerlich. »Herzinfarkt. Sie war gerade mal fünfzig. Sehr fit und gesund, es war ein … schrecklicher Schock. Ich bin Benjamins Vormund.«
»Oh, Gott, das tut mir leid, Connor!« Tess’ Stimme klang brüchig. Mit so etwas hatte sie nicht gerechnet. Die Welt war ein tieftrauriger Ort. Und hatte Connor seiner Schwester nicht besonders nahegestanden? Wie hieß sie noch gleich? Lisa. Ja, Lisa. So hieß sie.
»Ein Kaffee wäre prima«, hörte sie sich da sagen. »Du kannst mich dann mit deinen Fragen löchern. Wenn es denn was bringt.« Sie war also nicht die Einzige, die litt. Auch andere hatten geliebte Menschen verloren. Die Ehemänner anderer Frauen gingen auch fremd. Und abgesehen davon, wäre ein Kaffee mit jemandem, der mit ihrem aktuellen Leben so gar nichts zu tun hatte, vielleicht genau das Richtige. Connor Whitby war kein finsterer Typ.
»Das wäre großartig.« Connor lächelte. Sie hatte ganz vergessen, dass er ein so gewinnendes Lächeln hatte. »Ich ruf dich an oder maile dir.«
»Okay, brauchst du meine …« Der Benzinhahn klickte. Der Tank war voll. Tess nahm den Tankrüssel heraus und hängte ihn wieder in die Zapfsäule ein.
»Du bist jetzt eine St.-Angela-Schul-Mum«, sagte Connor. »Die Telefonnummer kriege ich schon raus.«
»Oh. Gut.« Eine St.-Angela-Schul-Mum. Tess fühlte sich in seltsamer Weise entlarvt. Sie drehte sich zu ihm um und winkte ihm kurz mit Autoschlüssel und Geldbeutel in der Hand zu.
»Übrigens, dein Schlafanzug gefällt mir.« Connor musterte sie von oben bis unten und grinste.
»Danke«, sagte Tess. »Mir gefällt dein Motorrad. Ich erinnere mich gar nicht, dass du ein Motorrad hattest.« Fuhr er damals nicht einen lahmen kleinen Sedan oder so etwas in der Art?
»Es muss die Midlife-Crisis sein.«
»Ich glaube, mein Mann fährt auch so eins«, erwiderte Tess.
»Hoffe, es geht nicht allzu sehr ins Geld.«
Tess zuckte mit den
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