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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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sie ungestört in der Rotunde sitzen und sich küssen. Sie müsse ihm etwas sagen, meinte sie. John-Paul dachte, sie wäre vielleicht zur Familienberatungsstelle gegangen und hätte sich die Pille verschreiben lassen, denn davon hatten sie gesprochen. Stattdessen sagte sie, es tue ihr leid, aber sie habe sich in einen anderen Jungen verliebt. John-Paul war perplex. Völlig durch den Wind. Er hatte überhaupt keine Ahnung gehabt, dass noch ein anderer Jungen im Rennen war! »Aber ich dachte, du bist meine Freundin!«, sagte er. Sie lachte nur. Sie schien überglücklich, erzählte John-Paul nun – überglücklich, dass sie nicht seine Freundin war. Und er war am Boden zerstört, erniedrigt und rasend vor Zorn. Er fühlte sich in seinem Stolz gekränkt. Wie der letzte Depp. Und dafür wollte er sie töten .
    Er konnte es nicht fassen. Bis heute nicht. Nach all den Jahren. Er war noch immer bestürzt und entsetzt über das, was er getan hatte.
    Sie war noch warm gewesen, aber er hatte ohne jeden Zweifel gewusst, dass sie tot war.
    Obwohl er sich später fragte, ob er sich darin nicht geirrt haben könnte. Warum hatte er nicht einmal versucht, sie wiederzubeleben? Er muss sich diese Frage unzählige Male gestellt haben. Aber damals war er so sicher gewesen. Sie war tot. Sie fühlte sich tot an.
    Also legte er sie vorsichtig an das untere Ende der Rutsche. Und weil er wusste, dass es in der Nacht empfindlich kalt werden würde, deckte er sie mit ihrer Schuluniformjacke zu und legte ihr den Rosenkranz seiner Mutter in die Hände, den seine Mum ihm als Glücksbringer mitgegeben hatte, wie immer, wenn er eine Prüfung hatte. Es war seine Art, Janie und den lieben Gott um Verzeihung zu bitten. Und dann rannte er davon. Er rannte und rannte, bis er völlig außer Atem war.
    Er rechnete damit, dass er gefasst würde. Ganz sicher. Er wartete förmlich darauf, dass die schwere Hand eines Polizisten ihn an der Schulter packen würde.
    Aber er wurde nie gefasst, nie befragt. Janie und er besuchten nicht dieselbe Schule und gingen auch nicht in dieselbe Jugendgruppe. Weder ihre noch seine Eltern oder Freunde hatten von ihnen gewusst. Es schien, als hätte sie nie jemand zusammen gesehen. Als wäre das Ganze niemals passiert.
    Er sagte Cecilia, dass er die Tat sofort gestanden hätte, wenn man ihn befragt hätte. Dass er sich gleich gestellt hätte, wenn ein anderer des Mordes angeklagt worden wäre. Er hätte es nicht zugelassen, dass ein Unschuldiger für seine Taten büßen muss. So böse war er nicht.
    Es war nur vielmehr so, dass keiner ihn je gefragt und er folglich auch nie eine Antwort hatte geben müssen.
    In den Neunzigern dann verfolgte er Berichte zur Aufklärung von Straftaten mittels DNA -Analyse und fragte sich, ob er vielleicht eine winzig kleine Spur hinterlassen hatte, ein einzelnes Haar beispielsweise. Aber selbst wenn, sie waren doch nur kurze Zeit zusammen gewesen, und ihr Versteckspiel war ihnen perfekt geglückt. Niemand wusste, dass er Janie kannte. Beinahe konnte er sich selbst glauben machen, dass er sie nie gekannt hatte, dass das alles nie passiert war.
    Und dann gingen die Jahre ins Land; Jahr um Jahr legte sich über die Erinnerung an seine Tat. Manchmal, so flüsterte er nun, habe er sich monatelang relativ normal gefühlt, zu anderen Zeiten wiederum habe er an nichts anderes denken können als an das, was er getan hatte. Dann fürchtete er, den Verstand zu verlieren.
    »Es ist wie ein Monster, das in meinem Kopf gefangen ist.« Sein raues Wispern drang an Cecilias Ohr. »Doch manchmal befreit es sich, wütet und tobt, bis ich es wieder unter Kontrolle kriege und es in Ketten lege. Weißt du, was ich meine?«
    Nein, dachte Cecilia bei sich. Nein. Nein. Nein.
    »Und dann habe ich dich kennengelernt«, fuhr John-Paul fort. »Und spürte, dass da etwas ganz Besonderes in dir war, tief drinnen. Eine tiefe Herzensgüte. In diese Herzensgüte habe ich mich verliebt. Es war, als blickte ich in einen wunderschönen, tiefen See. Es war, als würdest du mich läutern, rein machen.«
    Cecilia war entsetzt. Ich bin nicht herzensgut , dachte sie. Ich habe mal Marihuana geraucht! Wir haben uns betrunken! Ich dachte, du hättest dich in meine Figur verliebt, in mein spritziges Wesen, in meinen Sinn für Humor, nicht in meine Herzensgüte , Herrgott noch mal!
    Er redete und redete, wollte ganz offensichtlich, dass sie über jedes noch so winzige Detail Bescheid wusste.
    Als Isabel geboren und er Vater wurde, sah er

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